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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier
Autoren: David Brooks
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beide klar und deutlich definierte, uns zu einer Einheit zusammenschweißte, jener Art von Einheit, die ich, ehe ich heiratete und Kinder bekam, mir nur ganz verschwommen vorstellen konnte. Ich erkannte, dass Carol zwar tot war, dieser Kern ihres Wesens aber überhaupt nicht – vielmehr hatte er ganz deutlich und bestimmt in meinem Gehirn weitergelebt. 4
    Die alten Griechen pflegten zu sagen, Leiden führe den Menschen zur Weisheit. Nach dem Tod seiner Frau gelangte Hofstadter durch seinen Kummer über den Verlust zu einer Einsicht, die er als Wissenschaftler Tag für Tag bestätigt findet. Im Kern besagt diese, dass unterhalb unserer bewussten Wahrnehmung Standpunkte und Emotionen existieren, die uns dabei helfen, einen Weg durchs Leben zu finden. Diese Standpunkte und Emotionen können von Freund auf Freund und von Liebespartner auf Liebespartner überspringen. Das Unbewusste ist nicht bloß eine dunkle, primitive Zone von Angst und Schmerz. Es ist auch ein Ort, an dem spirituelle Zustände entstehen und von wo sie von Seele zu Seele übergleiten. Das Unbewusste sammelt die Weisheit der Jahrhunderte. Es birgt die Seele unserer Spezies. In diesem Buch geht es nicht darum, die Rolle Gottes in all dem genauer zu erfassen. Aber wenn es eine göttliche Schöpferkraft gibt, dann ist sie zweifellos in dieser inneren Sphäre unserer Psyche aktiv, wo Hirnareale Emotionen erzeugen und wo die Liebe neue neuronale Verknüpfungen erstellt.
    Das Unbewusste ist impulsiv, emotional, empfindlich und unberechenbar. Es hat seine Unzulänglichkeiten. Es muss kontrolliert werden. Aber es kann auch brillant sein. Es kann Unmengen an Daten verarbeiten und gewagte kreative Sprünge machen. Vor allem aber ist es auch auf eine wunderbare Weise gesellig. Ihr Unbewusstes, dieses in Ihrem Innern sitzende extrovertierte Kraftzentrum, will, dass Sie Anschluss suchen und Beziehungen anknüpfen. Es will, dass Sie eine tiefe Verbundenheit mit Ihrer Arbeit, Ihren Freunden, Verwandten und Ihrem Land aufbauen und sich engagieren. Ihr Unbewusstes will Sie in das dichte Netz von Beziehungen einbinden, die den Kern von Erfolg und Wohlbefinden ausmachen. Es sehnt sich nach Liebe, nach jener Art von Verschmelzung, die Douglas und Carol Hofstadter miteinander teilten. Von all den Segnungen, die mit dem Leben verbunden sind, ist es das großartigste Geschenk.

Kapitel 1 Entscheidungen
    Nach dem ganzen irrationalen Überschwang und dem anschließenden Zusammenbruch der Wall Street trat die Composure Class – die Schicht der Leistungsträger – wieder einmal in den Vordergrund. Die Menschen dieser Schicht haben ihr Geld nicht mit Hedgefonds-Akrobatik oder irgendeinem finanziellen Glückstreffer verdient, sie haben die berufliche Erfolgsleiter allein durch ihre Leistung erklommen. Sie haben gute Abschlüsse gemacht, solide soziale Beziehungen aufgebaut und arbeiten als Selbstständige oder für angesehene Unternehmen. Sie sind nicht über Nacht zu ihrem Vermögen gekommen, sondern langsam und allmählich.
    Stellen wir uns vor, wir sehen einen idealtypischen Vertreter der Composure Class, der in einem Bistro in Aspen oder Jackson Hole zu Mittag isst. Er ist gerade aus China zurückgekommen und legt hier für eine Vorstandssitzung einen Zwischenstopp auf seinem Weg zu einem Bikeathon über 500 Meilen ein, um den Kampf gegen Laktoseintoleranz zu unterstützen. Er ist attraktiv, hat etwas weniger Körperfett als Michelangelos David und so dichtes, gewelltes Haar, dass Sie, sähen Sie ihn in Los Angeles, fragen würden: »Wer ist denn der gutaussehende Typ da neben George Clooney?« Als er seine Beine übereinanderschlägt, fällt Ihnen auf, dass sie sehr lang, schlank und überaus wohlgeformt sind.
    Er hat eine Stimme, die klingt, wie wenn jemand in Socken über einen Perserteppich geht – so ruhig und gelassen, dass sich Barack Obamas Bariton im Vergleich dazu wie hektisches Geschnatter anhört. Seine Frau lernte er bei der Clinton Global Initiative kennen. Zufälligerweise trugen sie die gleichen »Ärzte ohne Grenzen«-Armbänder und fanden schnell heraus, dass sie denselben Yoga-Lehrer verehrten und im Abstand von nur zwei Jahren Fullbright-Stipendien erhalten hatten. Sie passen ganz hervorragend zusammen, die einzige echte Spannung zwischen ihnen betrifft ihre Trainingsgewohnheiten. Aus irgendeinem Grund halten sich Männer in Spitzenpositionen vor allem mit Joggen und Radfahren fit und trainieren nur die Muskeln ihrer unteren Körperhälfte. Frauen in
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