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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier
Autoren: David Brooks
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Wilson, »gehen so weit, zu behaupten, das Unbewusste erledige praktisch die gesamte Arbeit und der bewusste Wille sei womöglich eine Illusion.« 2 Das Bewusstsein erfindet demnach lediglich Geschichten, die dem, was das Unbewusste von sich aus tut, einen Sinn zu geben versuchen.
    Wilson und die meisten der Forscher, von denen ich in diesem Buch erzählen werde, gehen nicht ganz so weit. Sie sind jedoch überzeugt davon, dass unser Denken durch mentale Prozesse strukturiert wird, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind, und dass diese Prozesse unsere Urteile maßgeblich beeinflussen, unsere Persönlichkeit formen und uns die Fähigkeiten vermitteln, die wir brauchen, um uns zu entfalten und erfolgreich zu sein. Für John Bargh von der Yale University ist das eine wissenschaftliche Revolution, die das Bewusstsein aus seiner privilegierten Stellung im Zentrum des menschlichen Verhaltens verdrängen wird, so wie Galilei »die Erde aus ihrer privilegierten Position im Mittelpunkt des Weltalls« verdrängte. 3 In diesem Buch werden wir das Bewusstsein aus dem Zentrum des Alltagslebens verdrängen. Die neuen Erkenntnisse erlauben uns einen tieferen Zugang zur Frage der persönlichen Selbstentfaltung und eine andere Definition von Erfolg.
    Im Reich der Emotionen
    Die Erkenntnisse, die die Wissenschaft über diesen inneren Bereich unserer Psyche zutage fördert, zeigen, dass es kein steriler, mechanistischer Ort ist. Vielmehr ist es ein emotionaler und geradezu verzauberter Ort. So wie die Erforschung des Bewusstseins die Bedeutung von Vernunft, Logik und Analyse unterstreicht, so betont die Erforschung des Unbewussten die Bedeutung von Leidenschaften und Empfindungen. Während unser »äußeres Ich« nach Prestige, Geld und Anerkennung hungert, sehnt sich unser »inneres Ich« nach Harmonie und Verbundenheit – jenen Momenten, in denen das Bewusstsein unserer selbst schwindet und wir in einer Herausforderung, einer Sache, der Liebe zu einem anderen Menschen oder der Liebe zu Gott aufgehen.
    Während sich das Bewusstsein mit einem General vergleichen lässt, der von einem erhöhten, entfernten Punkt aus die Welt beobachtet und Sinnesdaten linear und verbal analysiert, lässt sich das Unbewusste mit einer Million Kundschaftern vergleichen. Die Kundschafter schwärmen aus im Gelände, senden einen kontinuierlichen Strom von Signalen zurück und generieren sofortige Antworten. Sie halten keinen Abstand zu ihrer Umgebung, sondern tauchen in sie ein. Sie rennen herum, durchdringen andere Personen, Landschaften und Ideen und werden von diesen durchdrungen.
    Die Kundschafter laden Wahrnehmungen mit emotionaler Bedeutung auf. Sie treffen auf einen alten Freund und senden eine Welle der Zuneigung zurück. Sie steigen in eine dunkle Höhle hinunter und schicken eine Welle der Furcht zurück. Die Wahrnehmung einer malerischen Landschaft löst ein Gefühl der Erhabenheit aus. Eine brillante Einsicht geht mit starker Freude einher, während eine unfaire Behandlung berechtigten Zorn hervorruft. Jede Wahrnehmung hat ihre eigene Note, Textur und Stärke und flicht sich in einen Strom von Empfindungen, Impulsen, Urteilen und Begierden ein.
    Diese Signale steuern unser Leben zwar nicht, aber sie beeinflussen unsere Interpretationen der Welt, und sie leiten uns, wie ein geistiges GPS , bei der Planung unserer Wege. Während der General in Daten denkt und in Prosa spricht, artikulieren sich die Kundschafter in Emotionen, und das, was sie leisten, kommt am besten in Erzählungen, Gedichten, Musik, Bildern, Gebeten und Mythen zum Ausdruck.
    Ich bin kein sehr gefühlsbetonter Mensch, wie meine Frau einmal bemerkte. Es gibt eine schöne, wenn auch zweifelhafte Geschichte über ein Experiment, in dem die Hirnaktivität von Männern mittleren Alters beim Betrachten eines Horrorfilms in einem Kernspintomografen untersucht wurde. Anschließend wurden sie erneut in einen Tomografen geschoben und aufgefordert, ihre Gefühle für ihre Frauen zu schildern. Bei beiden mentalen Aktivitäten zeigten die Hirn-Scans die gleichen Befunde: pure Angst. Ich weiß, wie sich das anfühlt. Aber wenn man die Wellen von Liebe und Furcht, Sympathie und Abscheu, die uns in jeder Sekunde unseres Lebens durchlaufen, ignoriert, ignoriert man den wichtigsten Bereich unserer Psyche. Man ignoriert die Prozesse, die bestimmen, was wir wollen, wie wir die Welt wahrnehmen, was uns antreibt und was uns zurückhält. Und deshalb werde ich Ihnen die Geschichte der beiden
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