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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier
Autoren: David Brooks
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dieser Schicht selbst eines Tages anzugehören. Mit anderen ehrgeizigen jungen Berufstätigen wohnten sie in Gruppenunterkünften, und ein gemeinsamer Freund hat ein Blind-Date-Mittagessen für die beiden eingefädelt.
    Sie hießen Rob und Julia. Vor einer Filiale von Barnes & Noble warfen sie einen ersten flüchtigen Blick aufeinander. Rob und Julia lächelten sich strahlend an, als sie sich entgegengingen, und sofort setzte ein evolutionär tief verankerter Prozess ein. Jeder von ihnen sah etwas anderes. Rob nahm das meiste dessen, was er wissen wollte, über die Augen wahr. Seine männlichen Vorfahren im Pleistozän waren mit der verwirrenden Tatsache konfrontiert gewesen, dass geschlechtsreife Frauen, anders als die Weibchen vieler anderer Tierarten, keine physischen Signale zur Schau stellen, wenn sie einen Eisprung haben. Die frühen Jäger mussten sich daher mit den deutlichsten indirekten Fruchtbarkeitsanzeichen begnügen.
    Und dementsprechend konzentrierte Rob seine Aufmerksamkeit auf die physischen Merkmale, auf die fast alle heterosexuellen Männer bei einer Frau achten. David Buss erhob Daten von mehr als 10 000 Menschen in 37 verschiedenen Gesellschaften und fand heraus, dass die Maßstäbe für weibliche Schönheit weltweit annähernd gleich sind. Überall auf der Welt legen Männer großen Wert auf reine Haut, volle Lippen, langes üppiges Haar, symmetrische Gesichtszüge, kurze Abstände zwischen Mund und Kinn und zwischen Nase und Kinn sowie ein Taille-Hüfte-Verhältnis von etwa 0,7. Bei einer Untersuchung bildlicher Darstellungen aus mehreren Jahrtausenden kam heraus, dass die meisten der dargestellten Frauen eben dieses Verhältnis aufweisen. Playboy -Häschen haben oftmals genau diesen Wert, auch wenn sich ihre Figur insgesamt mit der Mode verändert. 1 Selbst das berüchtigt dürre Supermodel Twiggy hatte ein Taille-Hüfte-Verhältnis von exakt 0,73. 2
    Rob gefiel, was er sah. Er war fasziniert von der unbestimmt-verführerischen Ausstrahlung, die von Julia ausging – nichts steigert ja die Schönheit mehr als ein gesundes Selbstbewusstsein. Er mochte das Lächeln, das sich über ihrem Gesicht ausbreitete, und unbewusst registrierte er, dass sich das Ende ihrer Augenbrauen senkte. Der Ringmuskel der Augen, der diesen Teil der Braue kontrolliert, kann nicht willentlich gesteuert werden; wenn sich das Ende der Braue senkt, bedeutet das daher, dass es sich um ein echtes, kein vorgetäuschtes Lächeln handelt. 3
    Unterschwellig wissend, dass attraktive Menschen im Allgemeinen ein deutlich höheres Einkommen haben, schätzte Rob ihren Attraktivitätsgrad ein.
    Überdies gefiel ihm die Wölbung, die er sofort unter ihrer Bluse registrierte, und er folgte ihrer Linie mit einer Erregung, die ihn im Innersten aufwühlte. Irgendwo in seinem Hinterkopf war ihm klar, dass die weibliche Brust auch nur eine Funktionseinheit des Körpers ist, eine Masse aus Haut und Fett. Doch er war unfähig, so zu denken. In seinem Alltag registrierte er in einem fort ihre Präsenz. Schon die gezeichnete Kontur einer Brust auf einem Blatt Papier genügte, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Die Verwendung des Wortes »Titte« ärgerte ihn unwillkürlich, weil es dieses würdelose Wort nicht verdiente, in Verbindung mit einer so heiligen Form benutzt zu werden. Er spürte, dass es, überwiegend von Frauen, dazu benutzt wurde, seine tiefverwurzelte Fixierung lächerlich zu machen.
    Und natürlich besitzen Brüste die Form, die sie nun einmal haben, weil sie genau diese Reaktion auslösen sollen. Es gibt keinen anderen Grund, weshalb die Brüste von Frauen so viel größer sein sollten als die Brüste anderer Primatenweibchen. Die Weibchen von Menschenaffen sind flachbrüstig. Größere weibliche Brüste erzeugen nicht mehr Milch als kleinere. Sie bringen keine Vorteile bei der Aufzucht des Nachwuchses, sondern haben nur eine Signalfunktion und zünden im männlichen Gehirn primitive neuronale Feuerwerke. Von Frauen mit attraktiven Körpern und unattraktiven Gesichtern fühlen sich Männer durchweg stärker angezogen als von Frauen mit attraktiven Gesichtern und unattraktiven Körpern. 4 Die Natur strebt nicht nach Schönheit um der Schönheit willen, dennoch bringt sie Schönheit hervor.
    Julias Reaktion, als sie ihrem späteren Ehemann begegnete, fiel wesentlich gedämpfter aus. Nicht, weil sie die unbestreitbare sexuelle Anziehungskraft des Mannes vor ihr unbeeindruckt gelassen hätte. Frauen auf der ganzen Welt fühlen
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