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Das soziale Tier

Das soziale Tier

Titel: Das soziale Tier
Autoren: David Brooks
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Gegensätze zögen sich an, gilt für Liebesbeziehungen in der Regel doch das Sprichwort »Gleich und gleich gesellt sich gern«. Helen Fisher schrieb in einem Aufsatz des Sammelbandes The New Psychology of Love: »Die meisten Männer und Frauen verlieben sich in Personen mit dem gleichen ethnischen, sozialen, religiösen, schulischen und wirtschaftlichen Hintergrund, in Menschen mit ähnlicher körperlicher Attraktivität, vergleichbarer Intelligenz, ähnlichen Einstellungen, Erwartungen, Werten und Interessen sowie ähnlichen sozialen und kommunikativen Fähigkeiten.« 13 Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Menschen sich Partner mit ähnlich breiten Nasen und ähnlichem Augenabstand aussuchen. 14
    Dieses Muster hat unter anderem zur Folge, dass Menschen unbewusst Partner wählen, die zumindest eine Zeitlang in ihrer Nähe gewohnt haben. Bei einer Studie in den 1950er Jahren kam heraus, dass 54 Prozent der Paare, die in Columbus im Bundesstaat Ohio ein Aufgebot bestellten, maximal sechzehn Häuserblocks voneinander entfernt wohnten, als sie zusammenkamen, 37 Prozent sogar nur fünf Blocks. Im College bandeln Studenten viel häufiger mit Kommilitonen an, die im Wohnheim ein Zimmer auf demselben Flur oder im selben Trakt haben. 15 Vertrautheit erzeugt Vertrauen.
    Rob und Julia fanden schnell heraus, dass sie viele Gemeinsamkeiten hatten. In ihren Zimmern hing das gleiche Poster von Edward Hopper. Sie hatten zur selben Zeit am selben Ort Skiferien gemacht und stimmten in ihren politischen Ansichten weitgehend überein. Sie entdeckten, dass sie beide Ein Herz und eine Krone mochten und die Charaktere im Film Der Frühstücksclub ganz ähnlich beurteilten. Beide hielten es fälschlicherweise für ein Anzeichen von Kultiviertheit, lang und breit über Eames-Sessel und die Malerei von Mondrian parlieren zu können.
    Außerdem taten beide so, als wären sie in so prosaischen Dingen wie Hamburger und Eistee die größten Kenner. Beide bauschten ihre Beliebtheit auf, als sie in Erinnerungen an ihre Highschool-Zeit schwelgten. Sie hatten dieselben Bars besucht und auf den gleichen Tourneen die gleichen Rockbands gesehen. Es war, als würde man eine Reihe von Puzzle-teilen hinlegen, die erstaunlicherweise zusammenpassten. Im Allgemeinen überschätzen Menschen das Ausmaß, in dem sich ihr Leben von dem anderer unterscheidet, sodass ihnen Gemeinsamkeiten wie Wunder vorkommen. Die Übereinstimmungen verliehen ihrer Beziehung eine Aura von Schicksalserfüllung.
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, taxierten sie auch ihre intellektuelle Vereinbarkeit. Wie Geoffrey Miller in Die sexuelle Evolution schreibt, neigen Menschen dazu, Ehepartner von ähnlicher Intelligenz auszuwählen, und Intelligenz lässt sich am leichtesten anhand des Wortschatzes einer Person beurteilen. 16 Menschen mit einem IQ von 80 kennen Wörter wie »Stoff«, »riesig« und »verbergen«, nicht dagegen Wörter wie »Satz«, »konsumieren« und »Handel«. Menschen mit einem IQ von 90 kennen die letzten drei Wörter, wissen aber vermutlich nicht, was »bezeichnen«, »nachsinnen« oder »widerstrebend« bedeutet. Menschen, die sich kennenlernen, prüfen daher unbewusst, ob sie den gleichen Wortschatz verwenden, und sie stellen sich auf das Niveau ihres Gegenübers ein.
    Der Kellner kam an ihren Tisch, und sie bestellten Getränke und Speisen. Es ist eine elementare Tatsache des Lebens, dass wir zwar frei wählen können, was wir bestellen, aber nicht, was uns schmeckt; Präferenzen entwickeln sich unterhalb der Bewusstseinsschwelle. So kam es, dass Rob Cabernet Sauvignon, aber keinen Merlot mochte. Leider bestellte Julia ein Glas von Ersterem, sodass Rob sich gezwungen sah, ein Glas von Letzterem zu nehmen, um sich scheinbar von ihr zu unterscheiden. Die Speisen schmeckten zwar grauenvoll, aber das Essen als solches war ganz wunderbar. Rob war selbst noch nicht in diesem Restaurant gewesen, sondern hatte der Empfehlung ihres gemeinsamen Freundes vertraut, der höchste Stücke auf sein eigenes Urteil hielt. Es erwies sich als eines jener Restaurants, deren Salate man mit der Gabel nicht zu fassen bekommt. Julia, die so etwas schon vorausgeahnt hatte, hatte eine Vorspeise gewählt, die sich leicht mit der Gabel essen ließ, und ein Hauptgericht, für das man auch kein Besteck-Virtuose sein musste. Rob hingegen hatte sich für einen Salat entschieden, weil er sich auf der Karte vielversprechend angehört hatte. Er bestand dann aber aus gespreizten grünen Tentakeln,
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