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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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Schwöre, daß du kein Fleisch ißt. Trudi hatte geschworen und sich sechs Jahre daran gehalten. War es nicht sogar ihr Trauspruch gewesen?
    »Ich habe gekocht«, sagte Georg.
    Das vertraute Gefühl von Versagen stieg in Trudi auf. Georg hatte das nicht verdient. Ihre Unfähigkeit, die Tage festzuhalten und aus ihnen Nützliches zu wringen.
    Georg sah Trudi an und fühlte sich hilflos. Er wollte gar nicht länger wissen, wo sie gewesen war. Es sollte alles gut sein. »Mein kleines Mädchen«, sagte er. Das hatte er vor Stunden schon einmal gesagt. Er erinnerte sich.
    »Ich bin ja da«, sagte Trudi. Der tröstende Ton in ihrer Stimme überraschte sie.
    Georg ging auf Trudi zu und nahm sie in die Arme. Es wurde eine der wenigen Umarmungen, die Georg gelangen, und sie dachten beide in dem Augenblick, daß sie sich liebten.

Die Piniennadeln fallen nur in Paaren von den Bäumen, schrieb Hans Lafleur seiner Tochter. Fallen uns in den Pastis und lassen sich auch vom Eis darin nicht auseinanderreißen. Wie geht es dir und Georg? Werden wir ein Enkelkind haben?
    »Deine Eltern sind Alkoholiker.« Georg legte den Brief beiseite. »Jos kommt gleich«, sagte er und ging, den Spargel zu kaufen, der günstig angeboten wurde, und Erdbeeren.
    Am Anfang ihrer Zeit hatte Georg von einer Abtreibung erzählt, ein Kind, das sich in seiner ersten Freundin ankündigte. Trudi dachte, an Georg könne es nicht liegen, daß in ihr keins entstand.
    Trudi schrieb ihren Eltern nach Nizza, es würde sicher bald werden, das Kind. Sie habe so ein gutes Gefühl. Der Bleistift, mit dem sie schrieb, wurde stumpf, und Trudi stand vom Küchentisch auf, um einen anderen zu suchen. Sie fand ihn auf Georgs Tisch. Daneben lag das Foto eines kleinen Mädchens. Dunkler Pagenkopf. Herzrundes Gesicht. Klug sah es aus und kalt. Trudi drehte das Bild um. Georgs Schrift. Mary Bell, stand da, und kommen Mörder in den Himmel?
    Trudi war nun genügend gereizt, die Schwelle zu übertreten und den Text zu lesen, den Georg vor ihr verbarg. Sie sah erst jetzt, daß der Ordner fehlte. Trudi hatte gerade angefangen, die Regale zu inspizieren, da klingelte es.
    »Wer ist Mary Bell? fragte Jos.
    »Eine Mörderin«, sagte Georg, »sie hat eigenhändig zwei kleine Jungen erwürgt und dem kleineren noch ein M für Mary in den Bauch geritzt. Mit einer Rasierklinge.«
    »Sie ist noch ein Kind«, sagte Jos.
    »Damals war sie elf. Heute müßte sie so alt wie Trudi sein.«
    »Ich wollte gerade frohlocken, daß weder Blut noch Tod auf dem Bild zu sehen sind.«
    »Dafür siehst du eine Teufelin«, sagte Georg.
    Jos legte das Foto auf den Tisch und betrachtete statt dessen die Innenflächen seiner Hände, die voller Farbspritzer waren. »Was willst du?« fragte er. »Soll ich die Tat zeichnen?«
    »Ich weiß noch nicht, ob Mary vorkommen wird. Daß die Täterin selbst ein Kind ist, paßt mir nicht ins Konzept.«
    »Das Konzept«, sagte Jos, »denkst du tatsächlich, daß irgendeinem Würmchen in dieser Welt weniger Leid geschieht, weil wir das schon geschehene als Liedersammlung herausgeben?«
    »Wenn du so lustlos bist, wird das nie was.«
    »Ist das Lust, was du hast?«
    »Gut«, sagte Georg, »das hier ist eine andere Aufgabe, als die zweihundertvierundsechzigste Version vom Sandmann zu zeichnen.«
    »Danke«, sagte Jos.
    »Brauchst du einen Vorschuß?«
    »Hast du einen?« fragte Jos.
    Georg schüttelte den Kopf. »Es ist ziemlich eng im Augenblick«, sagte er, »eigentlich müßte Trudi auch arbeiten.«
    »Dann schildere ihr doch die Lage. Ich nehme an, du läßt sie total ahnungslos.«
    »Vielleicht habe ich Angst, daß ihr nichts Besseres einfällt, als in einer Bar zu singen.«
    »Ein furchteinflößender Gedanke.« Jos zog eine Grimasse.
    »Trudi ist so unerfahren. Da landet sie bestimmt in irgendeinem Bett«, sagte Georg.
    »Du hast nur Angst davor, deinen Einfluß zu verlieren.«
    »Daß du das locker siehst, ist bekannt«, sagte Georg. »Hast du jemals wieder von Dott gehört?«
    »Nein«, sagte Jos.
    »Ich wüßte gern, was aus ihr geworden ist.«
    Jos versuchte, die Hände in die Taschen seiner Jeans zu stecken, doch sie lagen ihm so eng auf den schmalen Hüften, daß höchstens ein glattes Papier hineingepaßt hätte. »Kunstlehrerin«, sagte er, »sie ist doch immer für Sicherheit gewesen.«
    »Dann hätte sie sich nicht mit dir eingelassen.«
    »Du warst ihre erste Wahl«, sagte Jos.
    »Das ist lange her.«
    »Können Mörder eigentlich in den Himmel
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