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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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such' ich mir was aus«, sagte Georg, »solange es sich um einen Popstar handelt, such mal schön. Da kommst du doch nie ran.«
    »Kannst du dir vorstellen, daß ich einmal was gegen deinen Willen tue?« fragte Trudi.
    »Nein«, sagte Georg und zweifelte an seiner Antwort. Doch er hielt es für falsch, eine andere zu geben.
    Trudi zog einen größeren Papierfetzen von der Tür. Ein paar kleine Placken und die Reste vom Klebstoff blieben zurück. Sie kratzte ein bißchen herum und gab bald auf.
    »Das kannst du so nicht lassen. Am besten nimmst du Azeton.« Trudi sagte nichts. Sie betrachtete nur den Daumennagel, der bei der Kratzerei stumpf geworden war.
    »Du tust ständig Dinge, die ich nicht gutheiße«, sagte Georg, »verschandelst dich und den Schrank und Gott weiß was noch.«
    »Ich meine etwas Großes«, sagte Trudi, »nicht das, weswegen du ständig quakst.«
    »Quakst.« Georg spuckte das Wort aus. »Ich versuche nur mein Bestes, damit du nicht im Sumpf versinkst.«
    »Ich bin ein Leben lang angewiesen worden, nicht vom sicheren Weg abzukommen. Ich habe große Lust auf Sumpf.«
    »Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um«, sagte Georg und hätte den Satz gern zurückgenommen. Er gehörte zu den dahergeredeten Sätzen seiner Mutter, die ihm noch gräßlicher waren, wenn Grete Fortgang sie nicht vom Kalender ablas, sondern selbst erfand.
    »Du klingst wie deine Mutter«, sagte Trudi.
    Georg seufzte. »Du könntest Kinder betreuen«, sagte er, »erst mal halbtags, Kinder magst du doch.«
    Trudi ging zum Bett und warf sich auf die bunte Decke, die ihre Eltern geschickt hatten und mit deren provenzalischem Muster Georg nur schlecht leben konnte. Es war ihm viel zu bewegt.
    »Habe ich wieder was Falsches gesagt?« fragte er.
    »Ich will Spuren hinterlassen«, sagte Trudi.
    »Das wird dir im Sumpf kaum gelingen.«
    »Vielleicht komme ich dir ja abhanden. Im Sumpf oder anderswo.«
    »Du liebst Geheimnisse«, sagte Georg, »Und dein Kummer ist, daß du keins hast.«
    Trudi setzte sich auf, kreuzte die Beine und saß im Schneidersitz. Lotussitz, dachte Trudi und hatte eine vage Vorstellung von Losgelöstsein, obwohl es ihr unbequem war, so zu sitzen. »Ich denke, daß bald was passieren wird«, sagte sie.
    Georg schüttelte den Kopf und ging auf die Tür zu. »Sing lieber noch mal«, sagte er traurig, »einen Mann - einen richtigen Mann.«
    Deine Ehe mit Gertrud wird das Gewand einer Aufgabe tragen, hatte Grete Fortgang zu ihrem Sohn gesagt, als Trudi und Georg heirateten.
    Sie war gegen Trudi gewesen. Trotzdem lud sie nach der Trauung in die drei Zimmer ein, in denen Georg aufgewachsen war. Zwei Tische waren zusammengestellt und so gedeckt, wie es Grete Fortgang unter dem Titel »Der Große Tag« in einer Zeitschrift gesehen hatte. Trudis Eltern saßen da und die Trauzeugen, Jos und eine Tänzerin, die Trudi aus einem Schauspielkursus kannte, und Jos' Vater.
    Grete Fortgang hatte Georg noch auf dem Standesamt in eine Ecke gezogen und ihm den Satz zugezischelt. Georg war dankbar gewesen, daß Trudi und die Lafleurs in Umarmungen versunken standen und nur Jos ihm zusah und zu wissen schien, was seine Mutter da sagte.
    Trudis Mutter trug einen Margeritenkranz auf den grauen Locken, als sei sie die Braut. Sie sah aus wie ein seliges Kind von siebzig Jahren. Hans Lafleur hielt seine Frau die ganze Zeit an der Hand, und obwohl er gleich alt war wie sie, wirkte das väterlich.
    Auch sie hatten sich Gedanken darüber gemacht, ob Trudi und Georg ihre Leben teilen sollten. Doch die Sicherheit, die Georg ihrer Tochter zu geben versprach, zerstreute schließlich die Zweifel. Hans und Hanni Lafleur wollten keinen Schatten auf das Glück werfen, und so nahmen sie Georg in die Arme und gaben Trudi in seine Obhut.
    Sechsundzwanzig Jahre hatten sie auf Trudi aufgepaßt und oft Angst gehabt, daß ihr Schutz das Kind ersticken und ihm die Leichtigkeit nehmen könnte, die ihnen so viel bedeutete. Doch die Angst, Trudi irgendeiner Gefahr auszuliefern, war noch größer gewesen.
    Die Tänzerin verlor Trudi aus den Augen. Sie fuhr davon, um bei einer viel größeren Hochzeit die Braut zu sein, und Trudi und Georg sagten ab, daran teilzunehmen, weil New York weit weg und teuer war.
    Jos' Vater lebte noch zwei Jahre in nächster Nachbarschaft zu Grete Fortgang. Dann ging er nach Holland zurück, von wo er dreißig Jahre zuvor nach Hamburg gekommen war, um zu heiraten, einen Sohn zu haben und von der Frau verlassen zu werden. Joseph Verwey
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