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Das singende Kind

Das singende Kind

Titel: Das singende Kind
Autoren: Carmen Korn
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kommen?«
    Georg seufzte. »Mary Bell hat das gefragt«, sagte er, »als ihr erster Mord noch gar nicht entdeckt war. Sie hat sich gleich noch erkundigt, wie das bei zwei Morden gehalten wird.«
    »Ist doch wichtig zu wissen, ob es die Menge macht.«
    »Du bist scheußlich«, sagte Georg. Es klang liebevoll.
    »Mach dir um meine Finanzen keine Sorgen«, sagte Jos, »ich habe ein Bild verkauft.«
    Jos Verwey ging an der Hand des Vaters und trug eine Schultüte, als Georg Fortgang ihn das erste Mal sah. Georg war gerade in die vierte Klasse des Gymnasiums versetzt worden und sah gerührt auf den Jungen hinunter, der in dasselbe düstere Haus aus dunkel gebrannten Backsteinen und zu kleinen Fenstern gezogen war, in dem Georg schon sein ganzes Leben verbrachte.
    Sieben Jahre später war Jos einen Kopf größer als Georg und ihm so vertraut, daß er es nicht negativ vermerkte. Doch Georg sah, daß der Vierzehnjährige es viel einfacher bei den Mädchen hatte, als er mit seinen einundzwanzig Jahren. Wenn sie sich an heißen Tagen im Hof des Hauses trafen und zwischen den paar Sträuchern saßen, dann klebten auch die älteren der Mädchen neben Jos im Gras, und Georg auf dem Campingstuhl geriet ins Abseits.
    Georg liebte Jos, und Jos liebte Georg, und obwohl sie sich so wenig ähnlich waren, konnte sie keine Eifersucht trennen. Sie ahnten damals schon, daß es eine Freundschaft für länger sein würde, und es kam ihnen nicht ein homosexueller Gedanke. Dabei hätte das ihr Leben vielleicht sogar leichter gemacht.
    Jos brachte das Bild in das Büro eines Immobilienhändlers, besah sich die Wand, an der es hängen sollte, und war auch bereit, die Nägel einzuschlagen. Jos hatte lange kein Bild verkauft gehabt.
    Er ließ die Ansicht eines zyklamroten Zimmers ungern dort zurück, und selbst als er den Scheck über viertausend Mark in der Hand hielt, schien es ihm ein schlechter Tausch, und er verabschiedete sich voreilig von den Leuten, die das zyklamrote Zimmer eher freudlos aufnahmen.
    Jos gehörte nicht zu den Malern, denen die Trennung schwerfiel. Doch diesmal war es ihm wie Verrat vorgekommen. Er schob das auf die schlechte Grundstimmung, die er hatte, seit er mit Georg am Singenden Kind arbeitete. Es tat ihnen allen nicht gut.
    Jos zog das Gartentor hinter sich zu und schaute ein letztes Mal auf die zweistöckige Villa zurück, streifte auch die Häuser, die daneben standen und ähnlich aussahen. Er holte den Autoschlüssel aus der Tasche seines cremefarbenen Wolljacketts und drehte sich noch einmal um, als er ein Klavier hörte. Ein klassisches Stück. Die Meister seit 1960 hätte Jos eher erkannt. Doch es gefiel ihm, was an Tönen durch die warme Luft wehte, und er stieg in den Citroën und war schon wieder besser gelaunt.
    Jos fuhr an und drückte zu fest auf das Gas, und das häßliche Geräusch, das es gab, störte den Klavierspieler, aus dessen Haus Trudi ein paar Tage zuvor geflohen war. Felix Antes stand auf, um das Fenster zu schließen, und sah den Citroën davonfahren.

Trudi sang seit Wochen zum erstenmal. Sie sang gut und tiefer, als sie es bei der Dux hatte tun dürfen.
    Georg hörte das Lied durch die Türen, die Trudi geschlossen hielt, um ihn nicht zu stören. Er war überrascht, daß sie den Text der Vorstrophen kannte und ihr Singen ihm gefiel. Er stand vom Schreibtisch auf und öffnete die Tür zum Flur.
    »Kinder, heut' abend - da such' ich mir was aus - einen Mann - einen richtigen Mann«, sang Trudi gerade den Refrain.
    Georg zögerte und ging dann doch der Stimme nach. Trudi stand vor ihrem Schrank. Er hatte zuhören und ihr am Ende des Liedes ein Lob sagen wollen, doch Trudi verstummte, als er ins Zimmer kam. »Sing doch weiter«, sagte Georg.
    »Ich wußte nicht, daß ich so laut bin«, sagte Trudi.
    »Ich habe dich das noch nie singen hören. Gibt es einen Grund, das jetzt zu tun?« Er klang schon wieder verärgert. »Du hast nicht vielleicht vor, in einer Bar zu singen?«
    Trudi schnaubte leicht und drehte sich der Schranktür zu, an deren Innenseite ein Zeitungsfoto klebte. Sie schob den Daumennagel unter das dünne Papier und versuchte es abzulösen.
    »Das ist doch genau das Repertoire«, sagte Georg.
    »Mich nimmt schon keiner.«
    »Ich verbiete dir, in einer Bar zu singen«, sagte Georg. Er kam näher und zeigte auf das Foto. »Ist das ein neuer Schwarm von dir? Laß ihn nur dran. Für den hat Jos auch schon geschwärmt.«
    »Ich schwärme nicht für ihn.«
    »Kinder, heut' abend, da
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