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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage
Autoren: Isabel Allende
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seiner Tochter nicht alles waren, sondern ihr Herz nicht mehr lange mitmachen würde. Seit neun Jahren spielte Jennifer nun schon mit dem Tod Katz und Maus.
    Wir hatten sie in den Wochen zuvor in der Klinik gesehen, an den Handgelenken fixiert, damit sie sich im Fieber nicht die Schläuche aus der Haut riß. Sie war süchtig nach nahezu allen bekannten Drogen, von Tabak bis Heroin; mir ist unbegreiflich, wie ihr Körper diesem Mißbrauch standhalten konnte. Weil man keine gesunde Vene fand, um ihr die Medikamente zu verabreichen, wurde ihr eine Sonde an eine Arterie der Brust gelegt. Nach einer Woche kam sie von der Intensivstation in ein Dreibettzimmer, das sie mit anderen Patienten teilte, war nicht mehr festgeschnallt und wurde weniger streng überwacht als zuvor. Von da an besuchte ich sie täglich und brachte ihr, was sie sich wünschte, Parfüm, Nachthemden, Musik, aber alles verschwand sofort wieder. Wahrscheinlich kamen ihre miesen Freunde außerhalb der Besuchszeiten vorbei und versorgten sie mit Drogen, die sie, weil sie kein Geld hatte, mit meinen Geschenken bezahlte. Als Teil der Behandlung bekam sie Methadon, das ihr helfen sollte, den Entzug durchzustehen, aber daneben verabreichte sie sich über die Sonde, was immer ihre Lieferanten ihr ins Krankenhaus schmuggelten. Ein paarmal war es an mir, sie zu waschen. Ihre Knöchel und Füße waren geschwollen, ihr Körper von Schrammen und Schrunden gezeichnet, von den Spuren infizierter Nadeln, von Narben und einem Piratenschmiß quer über den Rücken. »Von einem Messer«, war alles, was sie dazu sagte.
    Willies Tochter war ein blondes Mädchen gewesen, mit großen blauen Augen wie ihr Vater, aber aus jener Zeit waren nur wenige Fotos geblieben, und niemand erinnerte sich mehr daran, wie sie gewesen war, die Klassenbeste, brav und adrett. Auf den Bildern hatte sie etwas Ätherisches. Ich lernte sie 1988 kennen, kurz nachdem ich nach Kalifornien gekommen war, um mit Willie zu leben, und damals war sienoch hübsch, auch wenn ihr Blick bereits ausweichend war und diese nebelhafte Unaufrichtigkeit sie umgab wie ein dunkler Schatten. Im Überschwang meiner frischen Liebe zu Willie wunderte ich mich nicht weiter, als er mich eines Sonntags im Winter in ein Gefängnis im Osten der Bucht von San Francisco mitnahm. Lange standen wir in einem unwirtlichen Hof in einer Schlange mit anderen Besuchern, fast ausschließlich Schwarzen oder Latinos, bis das Gittertor geöffnet wurde und man uns in ein düsteres Gebäude ließ. Die wenigen Männer wurden von den vielen Frauen und Kindern getrennt. Ich weiß nicht, was Willie erlebte, mir jedenfalls nahm eine uniformierte Matrone die Handtasche ab, schob mich hinter einen Vorhang und versenkte ihre Hände an Stellen, an die sich noch niemand gewagt hatte, das alles schroffer als nötig, vielleicht weil mein Akzent mich verdächtig machte. In der Besucherschlange hatte mich eine Bauersfrau aus El Salvador zum Glück vorgewarnt und gesagt, ich solle keine Scherereien machen, weil es dann noch viel übler würde. Endlich trafen Willie und ich uns in einem Trailer wieder, der für die Besuche der Gefangenen hergerichtet war, ein langer, schmaler Schlauch mit einer Trennwand aus Hasendraht, hinter der Jennifer saß. Sie war seit zwei Monaten im Gefängnis; sauber und gut genährt, wirkte sie, verglichen mit ihren vierschrötigen Mitgefangenen, wie ein Schulmädchen am Sonntag. Ihren Vater begrüßte sie unendlich niedergeschlagen. In den Jahren danach lernte ich, daß sie immer weinte, wenn sie mit Willie zusammen war, ich weiß nicht, ob aus Scham oder aus Groll. Willie stellte mich kurz als eine »Freundin« vor, obwohl wir schon seit einer Weile zusammenlebten, und blieb mit verschränkten Armen und trotzig gesenktem Blick vor dem Hasendraht stehen. Ich hielt mich etwas abseits und beobachtete die beiden, hörte durch das Gewirr der anderen Stimmen Fetzen ihres Gesprächs mit.
    »Weshalb diesmal?«
    »Was soll die Frage? Das weißt du doch. Hol mich hier raus, Papa.«
    »Kann ich nicht.«
    »Bist du Anwalt oder was?«
    »Das letzte Mal habe ich dir gesagt, daß ich dir nicht noch einmal helfe. Du hast dich für dieses Leben entschieden, also bezahl auch dafür.«
    Sie wischte sich die Tränen mit dem Ärmel fort, aber sie rannen immer weiter über ihre Wangen, während sie nach ihren Brüdern und ihrer Mutter fragte. Kurz darauf verabschiedeten sich die beiden, und sie wurde von derselben Frau in Uniform fortgebracht, die meine
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