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Das Siegel der Tage

Das Siegel der Tage

Titel: Das Siegel der Tage
Autoren: Isabel Allende
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du warst zum Studieren in Virginia und er mit seinen einundzwanzig Jahren ein ausgewachsenes Mannsbild und auf die Hätscheleien seiner Mama nicht mehr angewiesen. Als Willie sich von dem Schock erholt hatte, mich mit der Reisetasche über der Schulter vor seiner Tür zu sehen, begannen wir unser gemeinsames Leben mit Enthusiasmus, über die kulturellen Hürden hinweg und trotz der Schwierigkeiten seiner Kinder, mit denen weder er noch ich umzugehen verstand. Willies Leben und seine Familie kamen mir vor wie ein schlechter Film, in dem nichts lief, wie es sollte. Wie oft rief ich bei dir an, um dich um Rat zu fragen? Bestimmt täglich. Und immer war deine Antwort: »Was ist das Großzügigste, was du in diesem Fall tun kannst, Mama?« Acht Monate später heirateten Willie und ich. Nicht auf sein, sondern auf mein Drängen hin. Als ich begriff, daß aus der Leidenschaft der ersten Stunde Liebe zu werden begann und ich wahrscheinlich in Kalifornien bleiben würde, beschloß ich, meine Kinder zu mir zu holen. Um dich und deinen Bruder in meiner Nähe zu haben, brauchte ich die amerikanische Staatsbürgerschaft, also blieb mir nichts anderes übrig, als meinen Stolz Stolz sein zu lassen und Willie einen Antrag zu machen. Er reagierte nicht trunken vor Glück, wie ich vielleicht zu hoffen gewagt hatte, sondern verschreckt, weil das romantische Lodern in seinem Innern nach mehreren gescheiterten Liebesbeziehungen erloschen war, aber irgendwann hatte ich ihn doch soweit. Also, um ehrlich zu sein, es war nicht weiter schwierig: Ich setzte ihm eine Frist bis um zwölf Uhr am nächsten Tag und begann meine Sachen zu packen. Fünfzehn Minuten vor Ablauf des Ultimatums nahm Willie meinen Antrag an, auch wenner nie begreifen konnte, weshalb ich so stur darauf bestand, Nico und dich bei mir zu haben, schließlich verlassen in den Vereinigten Staaten die Kinder das Elternhaus, sobald sie mit der Schule fertig sind, und kommen dann nur noch an Weihnachten und Thanksgiving zu Besuch. Die chilenische Sitte, für immer als Clan zusammenzuleben, ist den Amerikanern ein Greuel.
    »Zwing mich nicht, mich zwischen den Kindern und dir zu entscheiden!« warnte ich ihn damals.
    »Wo denkst du hin. Aber bist du dir sicher, daß sie in deiner Nähe leben wollen?«
    »Eine Mutter hat immer das Recht, ihre Kinder zu sich zu rufen.«
    Wir wurden von einem Herrn getraut, der seine Berechtigung dazu vermittels einer Zahlung von fünfundzwanzig Dollar mit der Post bekommen hatte, weil Willie – als Anwalt – keinen befreundeten Richter dafür auftreiben konnte. Mir war das nicht geheuer. Es war der heißeste Tag in der Geschichte von Marin County. Die Feier fand in einem italienischen Restaurant ohne Klimaanlage statt, die Torte schmolz restlos, dem Fräulein an der Harfe wurde schwarz vor Augen, und die schweißgebadeten Gäste entledigten sich nach und nach ihrer Kleidung. Am Ende trugen die Männer weder Hemd noch Schuhe, die Frauen weder Strümpfe noch Unterwäsche. Außer deinem Bruder und dir, meiner Mutter und meinem amerikanischen Verleger, die von weither angereist waren, um mir beizustehen, kannte ich keine Menschenseele. Ich bin den Verdacht nie losgeworden, daß diese Heirat nicht vollends legal war, und hoffe, wir ermannen uns eines Tages und heiraten anständig.
    Du mußt nicht denken, ich wäre nur aus Berechnung Willies Frau geworden, schließlich hatte er in mir, wie Ernesto in dir, diese romanhafte Wollust geweckt, wegen der die Frauen unserer Sippe alle Vernunft fahren lassen, aber inunserem Alter war es außer wegen der Aufenthaltserlaubnis nicht notwendig zu heiraten. Wären die Umstände andere gewesen, wir hätten ohne Trauschein zusammengelebt, was Willie zweifellos vorgezogen hätte, aber ich war nicht bereit, auf meine Familie zu verzichten, und wenn dieser widerspenstige Liebhaber hundertmal wie Paul Newman aussah. Mit dir und Nico hatte ich während der Militärdiktatur in den siebziger Jahren Chile verlassen, mit euch hatte ich bis Ende der achtziger Jahre in Venezuela gelebt, und zusammen mit euch wollte ich in den neunziger Jahren in die USA einwandern. Ich zweifelte nicht daran, daß es deinem Bruder und dir bei mir in Kalifornien bessergehen würde als über die Welt verstreut, aber mit den juristischen Verzögerungen hatte ich nicht gerechnet. Es vergingen fünf Jahre, lang wie fünf Jahrhunderte, und unterdessen heirateten Nico und Celia in Venezuela und du und Ernesto in Spanien, was ich allerdings nie als
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