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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M.
Autoren: Catherine Millet
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Ich erinnere mich sogar an einem Kriminalfall: Die Verhaftung einer älteren, unauffälligen Frau (offenbar Magd auf einem Hof), die beschuldigt wurde, ihren Liebhaber getötet zu haben. Doch viel aufregender als den Mord – die Einzelheiten habe ich vergessen – fand ich die Tatsache, dass bei ihr Hefte gefunden wurden, in denen sie ihre Männergeschichten niederschrieb und alle möglichen kleinen Erinnerungsstücke einklebte, Fotos, Briefe, Haare von ihren Liebhabern, die äußerst zahlreich gewesen waren, wie sich herausstellte. Ich mochte die Pflanzenalben, die ich während der Ferien anlegte, und meine wohl geordneten Fotoalben mit Bildern von Anthony Perkins und Brigitte Bardot, und ich fand es toll, dass sie die Spuren der Männer wie einen Schatz in ein paar Heften hüten konnte. Und in einem geheimen Winkel meiner Libido fand ich es noch aufregender, dass diese Frau hässlich war, einsam letzten Endes, zügellos und verachtet.
    Strukturelle Ähnlichkeiten zwischen erlebten und vorgestellten Situationen gibt es bei mir viele, auch wenn ich nie willentlich versucht habe, Letztere in die Tat umzusetzen, und auch wenn das Gelebte meine Träume nur wenig nährte. Vielleicht machten die Fantasien, die sich seit meiner Kindheit in mir festgesetzt hatten, mich offen für eine Vielzahl von Erfahrungen. Da ich mich für diese Fantasien nie geschämt, sie nie verdrängt habe, mir im Gegenteil immer neue ausmalte und ausschmückte, waren sie kein Gegenpart zur Wirklichkeit, sondern eine Art Gitter, durch das mir mein Leben, das andere vielleicht ausschweifend fanden, ganz normal erschien.
    Mein Bruder und ich spielten nur selten in den kleinen Grünanlagen der Stadt. Doch auf unserem Schulweg lag eine, durch die wir gerne gingen. Auf einer Seite war sie von einer langen Mauer gesäumt, an der beschattet von Büschen drei schöne Hütten aus Ziegel und grün gestrichenem Holz standen. In einer Hütte wurden die Gartengeräte aufbewahrt, die beiden anderen waren öffentliche Toiletten. Jungs trieben sich in kleinen Gruppen in der Anlage herum. Bei der allerersten Geschichte, die mich über viele Jahre bei der Masturbation begleitete, stellte ich mir vor, dass ein Junge mich in eine dieser Hütten zog. Ich sehe, wie er mich auf den Mund küsst und mich überall berührt, während seine Kumpel zu uns herüberkommen. Alle machen mit. Alle stehen um mich herum, und ich drehe mich m der Mitte im Kreis.
    Fast an allen Wintersonntagen gingen wir abwechselnd mit Mutter oder Vater in die Matinee im California, einem Kino im Viertel. Egal, was lief, auch Trailer oder sehr kurze, nur halb verstandene Szenen in einem Liebesfilm konnten meine Vorstellung anregen. Ich dachte mir aus, dass ich alleine ins Kino darf; vor der Kasse steht eine lange Schlange. Plötzlich drückt mich jemand von hinten, auch hier machen wieder alle mit, und als ich an der Kasse ankomme, sieht die Kassiererin, dass mein Rock hochgeschoben ist. Ich kaufe eine Karte, während sich einer an meinem Hintern reibt, einen Slip trage ich nicht. Die Erregung greift um sich. Als ich durchs Foyer gehe, sind meine Brüste schon entblößt (in dem Bild, das ich von mir als erwachsener Frau damals zeichnete, habe ich schöne große Brüste, in meinen Fantasien ist das auch heute noch so, auch wenn ich in Wirklichkeit nur einen mittelgroßen Busen habe). Manchmal bittet der Kinodirektor uns ruhig, aber bestimmt, doch zu warten, bis wir im Saal wären, und dort unsere Zügellosigkeiten fortzusetzen. Die ersten Bilder: Ich knutsche mit einem Jungen auf einem Sitz, er ist gewissermaßen der schweigsame Bandenführer, der sich schließlich brutal von mir abwendet, nachdem er mich bis zum Gehtnichtmehr heiß gemacht hat, dann ein anderes Mädchen küsst und mich seinen Jungs überlässt, mit denen ich auf dem Teppichboden zwischen den Sitzreihen herummache. Fortsetzung: Gut situierte Männer verlassen ihren Platz an der Seite ihrer argwöhnischen Frauen, gehen durch den dunklen Saal und rutschen auch auf mir herum. Manchmal lasse ich während dieser Spiele das Licht anmachen oder ich gehe aufs Klo, und zwischen Saal und Klo herrscht ein Kommen und Gehen. Von Zeit zu Zeit schalte ich auch die Polizei ein. Eine Variante: Der Kinodirektor lässt erst mich in sein Büro rufen, dann die Jungs. Andere Variante: Ich folge der Gruppe, die mich in der Schlange angemacht hat, auf irgendein Gelände. Hinter einem Zaun ziehen sie mich aus und betatschen mich. Die Jungs bilden einen
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