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Das sexuelle Leben der Catherine M.

Das sexuelle Leben der Catherine M.

Titel: Das sexuelle Leben der Catherine M.
Autoren: Catherine Millet
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vorher zu begrüßen, ohne sich Zeit für ein paar Worte zu nehmen und erst einmal ein Glas Wein zu trinken, das man gereicht bekommt, oder den Aschenbecher herumgehen zu lassen. Ich mochte diesen Spannungsaufbau nie, dennoch konnte ich mich leichter als andere an bestimmte Regeln halten. Armand war lustig; er zog sich immer schon aus, wenn alle noch am Plaudern waren – eine ungebührliche Vorwegnahme einiger Minuten –, und er legte seine Kleider immer so sorgfältig zusammen wie ein Kammerdiener. Oder diese Gruppe, die nie vögelte, ohne vorher zu essen, und zwar immer im selben Restaurant; es war wie beim Klassentreffen. Immer wieder machte es sie an, wenn eine der beteiligten Frauen sich Slip oder Strumpfhose auszog, solange der Kellner servierte; ich machte mit, auch wenn ich es ein bisschen blöd fand. In einem Sexladen Zoten zu reißen, fand ich hingegen obszön. Vielleicht spürte ich den Unterschied zwischen dem Geplänkel als Vorspiel und Vorbereitung auf das wirkliche Stück und dem Getue, das nur stört. Im ersten Fall wird etwas inszeniert, im zweiten nicht, es ist wirklich »fehl am Platz«. Manchmal reagiere ich noch heute wie eine Katholikin (bekreuzige mich heimlich, wenn ich ein Unglück fürchte, fühle mich beobachtet, wenn ich weiß, ich habe einen Fehler gemacht oder mich geirrt …), ich könnte aber nicht sagen, dass ich wirklich an Gott glaube. Vielleicht verließ der Glaube mich, als ich anfing, Sex zu haben. So fühlte ich mich leer, ohne Mission, ich wurde passiv, ohne Ziel, es sei denn, die anderen gaben es mir vor. Und diese Ziele verfolgte ich mehr als beharrlich – wenn das Leben immer so weiterging, würde ich endlos so weitermachen, denn die Ziele hatte nicht ich mir gesetzt. Mit dieser Haltung handelte ich nie einer Aufgabe zuwider, mit der man mich betraute. Schon jahrelang leite ich die Redaktion der Art press. Ich habe die Zeitschrift mitgegründet und mich dieser Arbeit verschrieben, damit eine Identifikation entsteht zwischen ihr und mir, doch ich fühle mich eher wie ein Lokführer, dessen Zug nicht entgleisen darf, denn wie ein Kapitän, der den Hafen kennt. So habe ich auch gevögelt. Ich war völlig verfügbar. In der Liebe wie im Berufsleben hatte ich kein Ideal, das ich erreichen wollte, man definierte mich als eine Person ohne Tabus, ohne jegliche Hemmungen, und ich hatte keinerlei Grund, diese Rolle nicht anzunehmen. Meine Erinnerungen an die Partys, an die Abende im Bois oder in Gesellschaft meiner Freunde und Liebhaber sind mit den Räumen eines japanischen Palastes vergleichbar. Man glaubt sich in einem geschlossenen Raum, dann aber verschiebt sich eine Wand, offenbart eine weitere Zimmerflucht, und geht man weiter, öffnen und schließen sich immer wieder die Wände. Wenn es viele Räume gibt, kann man auf unzählige Art und Weise von einem zum anderen gehen.
    Die Abende in den Clubs nehmen in diesen Erinnerungen allerdings wenig Platz ein. Mit Ausnahme des Chez Aimé – es war die kahle Wiege des Vögelns. Der misslungene Abend im Glycines blieb mir nur deshalb im Gedächtnis, weil ich schon seit dem Ende der Pubertät davon geträumt hatte, dorthin zu gehen. Vielleicht liegt es daran, dass meine Erinnerung vorwiegend visuell ist; vom Cleopatre zum Beispiel, einem Club mitten in einem Ladenzentrum des 13. Arrondissement, den ehemalige Stammgäste des Chez Aimé eröffnet hatten, erinnere ich mich eher an die außergewöhnliche Lage als an die Einrichtung und an das, was ich da tat – was insgesamt banal war. An andere Orte und andere Begebenheiten entsinne ich mich hingegen so deutlich, dass ich sie nach Themen ordnen könnte. Da ist das Bild der Autoschlange, dem lebendigen Schwanz unseres Wagens. Wir fahren auf dem Seitenstreifen der Avenue Foch, ich muss dringend pinkeln. Ein paar Autos halten hinter uns. Ich steige aus und laufe über den Grünstreifen zu einem Baum. Wagentüren gehen auf. Einige verstehen das Manöver falsch und kommen näher. Eric eilt dazwischen, der Ort ist hell erleuchtet und gut einsehbar. Ich steige wieder ein, der Zug setzt sich wieder in Bewegung. Ein Parkplatz an der Porte de Saint-Cloud: Der Parkwächter sieht etwa fünfzehn Wagen nacheinander losfahren und eine Stunde später praktisch in derselben Reihenfolge wieder auftauchen. In dieser Stunde haben mich an die dreißig Männer genommen, erst hoben sie mich zu mehreren hoch und drückten mich an eine Mauer, dann lag ich auf einer Kühlerhaube. Manchmal kompliziert sich das
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