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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Gebäudes fiel. Er hätte die bleichen, kindlich wirkenden Gesichtszüge auch aus Hunderten Meter Entfernung wiedererkannt.
    Magnus Geroldsen war seit knapp zehn Jahren hier. Doch das grauenhafte Verbrechen, das er mit siebzehn Jahren begangen hatte, würde wohl keiner, der damals damit zu tun gehabt hatte, je vergessen.

3
    » Was soll da drin sein?« Hubert schrie in den Hörer, als wäre sein Gegenüber taub. Patrick betrachtete den Inhalt des Thermobehälters. Über eine dunkelrote Fläche zogen sich weiße Fasern. Auf der Oberseite ballte sich wulstiges gelbliches Material, das mit dünnen Adern bedeckt war, die wie eine Luftaufnahme von Flüssen und Nebenflüssen aussahen. An den Rändern des undefinierbaren Klumpens hatten sich zarte Eiskristalle gebildet, die das Rotbraun mattierten. Das tiefgefrorene »Etwas« in dem Gefäß glich entfernt den Fleischteilen, die seine Eltern vor Grillpartys immer im Großhandel kauften, nur dass es deutlich kleiner war. Nicht größer als seine geballte Faust, schätzte Patrick.
    »Schlachtabfälle, glaube ich.« Er schluckte.
    Am anderen Ende atmete Hubert rasselnd ein. »Kannst du es herausnehmen?«
    »Ich weiß nicht, ob ich das möchte. Außerdem ist es an den Rändern festgefroren.« Obwohl er das Gebilde nicht berührt hatte, wischte Patrick sich zum wiederholten Mal die Handfläche an der Jeans ab und schüttelte angewidert den Kopf.
    »Hast du eine Ahnung, was das für Fleisch ist?«
    »Nein.«
    »Dann schlage ich vor, du bringst das ganze Ding mitsamt dem Behälter her. Wir haben Minusgrade, da taut es beim Transport gewiss nicht auf. In der Redaktion schauen wir es uns dann genauer an.« Hubert sprach noch immer viel zu laut. Er musste allein in den Redaktionsräumen sein, sonst hätten sich die Kollegen schon längst über das Gebrüll beschwert. »Vorher schaust du aber noch nach den anderen beiden Stellen!«
    Patrick verzog den Mund und murmelte ein knappes »Ja« in den Hörer.
    »Ich bin ja gespannt, ob dort auch solche Thermobehälter sind!« Jetzt klang Hubert ein bisschen aufgeregt. »Wer weiß, was das zu bedeuten hat. Ruf mich wieder an, wenn du noch etwas Ungewöhnliches entdeckst. Und vergiss nicht, Fotos zu machen.« Er legte auf, ohne auf Patricks Antwort zu warten. Der betrachtete mit herabgezogenen Mundwinkeln das Batteriesymbol seines Smartphones. Die Taschenlampenfunktion hatte ganz schön viel Akkukapazität verbraucht. Es war gut, dass er für die Bilder die zusätzliche Digitalkamera mithatte. Die Frage war nur, womit er weitere Behälter transportieren sollte. Daran, eine Tasche mitzunehmen, hatte keiner von ihnen gedacht.
    Mit zusammengekniffenen Augen schaute Patrick sich auf dem Gelände um. Vielleicht flatterte irgendwo eine herrenlose Plastiktüte herum. Aber außer Gestrüpp, Glasscherben und zerknülltem Papier war nichts zu entdecken. Er klappte den Deckel wieder auf das gefrorene Fleischstück und ließ den Verschluss einrasten. Dann stellte er den Thermobehälter unter einen verkrüppelten Strauch am Rand des Betonwegs. Außer ihm war niemand hier, aber man musste möglichen Spaziergängern, die draußen vorbeiliefen, das Ding ja nicht auf dem Präsentierteller zeigen.
    Seine Finger waren mittlerweile fast froststarr. Mühsam schlossen sie sich um das inzwischen zerknitterte Blatt in seiner Jackentasche und zogen es hervor. Ein weiteres Kreuz befand sich in fast gerader Linie hinter dem Haus mit dem Turm, und wenn er von dort aus scharf nach links schwenkte, müsste er zum dritten Markierungspunkt gelangen. Patrick prägte sich die Lagebeziehungen ein und unterdrückte seinen Ärger darüber, dass Hubert und er nicht daran gedacht hatten, einen farbigen Ausdruck von dem Satellitenbild zu machen, das sie in der Redaktion auf dem Rechner angesehen hatten. Auf dieser unscharfen Schwarz-Weiß-Darstellung konnte man bei manchen Dingen nicht mal erkennen, ob es sich um Gebäudeteile oder Pflanzen handelte. Aber schließlich hatte ja keiner ahnen können, dass an den gekennzeichneten Punkten tatsächlich etwas versteckt war. Ein Gutes hatte das Ganze zumindest: Endlich geschah etwas Aufregendes, und er war mittendrin. Patrick zog sich die Handschuhe über und marschierte los.
    Sein Blick glitt über die Fenster des langgestreckten Gebäudes neben dem Turm, und er zählte automatisch mit. Acht viergeteilte Sprossenfenster mit außen angeschraubten Gittern. Bei fünfen hatte jemand die Scheiben eingeschlagen. Dann endete das Gebäude und gab
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