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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille
Autoren: Lian Hearn
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Händen und der honigfarbenen Haut konnte nicht tot sein, konnte nicht irgendwo neben ihren Töchtern unter dem Himmel liegen, die scharfen Augen jetzt leer und überrascht!
    Meine Augen waren nicht leer. Sie waren beschämend voll von Tränen. Ich vergrub mein Gesicht in der Matratze und versuchte die Tränen zu unterdrücken. Doch trotz aller Willenskraft konnte ich nichts daran ändern, dass meine Schultern zuckten und mein Atem in rauen Schluchzern kam. Nach einigen Augenblicken spürte ich eine Hand auf meiner Schulter, und Lord Otori sagte leise: »Der Tod kommt plötzlich, und das Leben ist zerbrechlich und kurz. Niemand kann das ändern, weder durch Gebete noch durch Zaubersprüche. Kinder weinen deshalb, aber Männer und Frauen weinen nicht. Sie müssen es ertragen.«
    Seine Stimme brach beim letzten Wort. Lord Otori war ebenso traurig wie ich. Sein Gesicht war angespannt, doch die Tränen liefen ihm immer noch aus den Augen. Ich wusste, um wen ich weinte, doch ich wagte es nicht, ihn zu befragen.

    Ich musste eingeschlafen sein, denn ich träumte, dass ich zu Hause war und das Abendessen aus einer Schüssel aß, die mir so vertraut war wie die eigenen Hände. In der Suppe war eine schwarze Krabbe, sie sprang aus der Schüssel und lief in den Wald. Ich lief ihr nach und wusste bald nicht mehr, wo ich war. Ich wollte rufen: »Ich habe mich verirrt!«, aber die Krabbe hatte mir die Stimme gestohlen.
    Ich wachte auf, Lord Otori schüttelte mich.
    »Steh auf!«
    Ich hörte, dass es nicht mehr regnete. Das Licht sagte mir, dass es mitten am Tag war. Der Raum wirkte eng und stickig, die Luft war drückend und still. Die Strohmatten rochen säuerlich.
    »Ich will nicht, dass Iida mich mit hundert Kriegern verfolgt, nur weil er wegen eines Jungen vom Pferd gefallen ist«, brummte Lord Otori gut gelaunt. »Wir müssen schnell weiter.«
    Ich sagte nichts. Meine Kleider lagen gewaschen und trocken auf dem Boden. Ich zog sie schweigend an.
    »Aber wie du es gewagt hast, Sadamu so mutig gegenüberzutreten, wenn du zu ängstlich bist, zu mir ein Wort zu sagen…«
    Ich war ihm gegenüber eigentlich nicht ängstlich - eher voller Ehrfurcht. Es kam mir vor, als wäre mir plötzlich einer von Gottes Engeln erschienen oder einer der Waldgeister oder ein Held aus vergangenen Zeiten und hätte mich unter seinen Schutz genommen. Ich hätte kaum sagen können, wie er aussah, denn ich wagte es nicht, ihn direkt anzuschauen. Wenn ich einen scheuen Seitenblick auf ihn warf, war sein Gesicht normalerweise ruhig - nicht gerade streng, aber ausdruckslos. Ich wusste noch nicht, wie sein Lächeln es veränderte. Er war vielleicht dreißig Jahre alt oder etwas jünger, weit über mittelgroß, breitschultrig. Seine Hände waren hellhäutig, fast weiß, gut geformt und mit langen, nervösen Fingern, die dazu gemacht schienen, sich um den Schwertgriff zu legen.
    Das taten sie jetzt, als er das Schwert von der Matte aufhob. Der Anblick ließ mich schaudern. Ich stellte mir vor, dass es das Fleisch, das Lebensblut vieler Menschen gekannt, ihre Todesschreie gehört hatte. Es erschreckte und faszinierte mich.
    »Jato.« Lord Otori war meinem Blick gefolgt. Er lachte und klopfte auf die abgenutzte schwarze Scheide. »In Reisekleidung wie ich. Zu Hause tragen wir beide etwas Eleganteres!«
    Jato, wiederholte ich leise vor mich hin. Das Schlangenschwert, das mein Leben gerettet hatte, indem es Leben nahm.
    Wir verließen die Herberge und wanderten weiter, an den nach Schwefel riechenden Quellen von Hinode vorbei und einen anderen Berg hinauf. Die Reisfelder machten Bambusgehölzen Platz, wie denen um mein Dorf; dann gingen wir an Kastanien, Ahornbäumen und Zedern vorbei. Der Wald dampfte von der Sonnenwärme, obwohl er so dicht war, dass wenig Sonnenlicht bis zu uns durchdrang. Zweimal glitten uns Schlangen aus dem Weg, die eine war eine kleine schwarze Viper, die andere, größere hatte die Farbe von Tee. Sie schien zu rollen wie ein Reifen und sprang ins Dickicht, als wüsste sie, dass Jato ihr den Kopf abschlagen könnte. Zikaden sangen schrill, und die Minmin stöhnten mit nervtötender Monotonie.
    Wir gingen rasch trotz der Hitze. Manchmal war Lord Otori nicht einzuholen, und ich erklomm mühsam den Pfad, als wäre ich völlig allein, hörte nur seine Schritte vor mir und traf ihn dann auf dem Gipfel, wo er über die Berge schaute, hinter denen sich weitere Berge hinzogen, ringsum lag undurchdringlicher Wald.
    Er schien sich in diesem wilden
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