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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille
Autoren: Lian Hearn
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tauchte jemand aus seinem Schatten auf und stellte sich mir in den Weg.
    Ich lief direkt in ihn hinein. Er ächzte, als hätte ich ihm den Atem genommen, aber er hielt mich sofort fest. Er schaute mir ins Gesicht, und ich sah etwas in seinen Augen aufblitzen: Überraschung, Erkennen. Was immer es sein mochte, er verstärkte seinen Griff. Diesmal konnte ich nicht fliehen. Ich hörte, wie der Tohan anhielt, dann die schweren Schritte der beiden anderen, die ihm nachkamen.
    »Entschuldigen Sie, Sir«, sagte der Mann, den ich fürchtete, mit ruhiger Stimme. »Sie haben den Verbrecher gefasst, den wir verfolgt haben. Danke.«
    Der Mann, der mich festhielt, drehte mich um, so dass ich im Angesicht meiner Häscher stand. Ich wollte um Hilfe schreien, ihn anflehen, aber ich wusste, dass es keinen Sinn hatte. Ich fühlte das weiche Tuch seiner Kleidung, seine glatten Hände. Er war zweifellos irgendein Lord, genau wie Iida. Sie waren alle vom gleichen Schlag. Er würde nichts tun, um mir zu helfen. Ich schwieg und dachte an die Gebete, die meine Mutter mir beigebracht hatte, dachte kurz an den Vogel beim Schrein.
    »Was hat dieser Verbrecher getan?«, fragte der Lord.
    Der Mann vor mir hatte ein langes Wolfsgesicht.
    »Entschuldigen Sie«, sagte er wieder, jetzt weniger höflich. »Das geht Sie nichts an. Diese Sache betrifft nur Iida Sadamu und den Tohanclan.«
    »Oh!«, sagte der Lord. »Wirklich? Und wer könnten Sie sein, dass Sie glauben, mir sagen zu können, was mich betrifft und was nicht?«
    »Überlassen Sie ihn einfach uns!«, knurrte der Wolfsmensch grob. Er trat einen Schritt vor, und ich wusste plötzlich, dass der Lord mich ihm nicht aushändigen würde. Mit einer geschmeidigen Bewegung schob er mich hinter seinen Rücken und ließ mich los. Zum zweiten Mal hörte ich das Zischen eines Kriegerschwerts, das zum Leben erweckt wird. Der Wolfsmann zog ein Messer hervor. Die beiden anderen hatten Stangen. Der Lord hob das Schwert mit beiden Händen, machte einen Schritt unter eine der Stangen, schlug dem Mann, der sie hielt, den Kopf ab, wandte sich wieder dem Wolfsmann zu und hieb ihm den rechten Arm mit dem Messer ab.
    Das alles geschah in einem Augenblick, doch es dauerte eine Ewigkeit. Es geschah im letzten Tageslicht, im Regen, aber wenn ich jetzt die Augen schließe, sehe ich immer noch jede Einzelheit.
    Die kopflose Leiche fiel mit einem dumpfen Aufschlag und einem Blutschwall, der Kopf rollte den Hang hinunter. Der dritte Mann ließ seinen Stock fallen, lief rückwärts und rief um Hilfe. Der Wolfsmann lag auf den Knien und versuchte das Blut aus dem Stumpf am Ellbogen zu stillen. Weder stöhnte noch redete er.
    Der Lord wischte das Schwert ab und steckte es wieder in die Scheide an seinem Gürtel. »Komm«, sagte er zu mir.
    Ich stand zitternd da und konnte mich nicht rühren. Dieser Mann war aus dem Nichts aufgetaucht. Er hatte vor meinen Augen getötet, um mein Leben zu retten. Ich fiel vor ihm auf den Boden und suchte nach Worten, ihm zu danken.
    »Steh auf«, sagte er. »Der Rest von ihnen wird gleich hinter uns her sein.«
    »Ich kann nicht weggehen«, brachte ich heraus. »Ich muss meine Mutter finden.«
    »Nicht jetzt. Jetzt ist es für uns Zeit zu laufen!« Er zog mich auf die Füße und drängte mich den Hang hinauf. »Was ist dort unten geschehen?«
    »Sie haben das Dorf angezündet und getötet…« Die Erinnerung an meinen Stiefvater kehrte zurück und ich konnte nicht weitersprechen.
    »Verborgene?«
    »Ja«, flüsterte ich.
    »Das geschieht in der gesamten Provinz. Iida schürt überall den Hass gegen sie. Ich nehme an, du bist einer von ihnen?«
    »Ja.« Ich schauderte. Obwohl noch Spätsommer war und der Regen warm, hatte ich noch nie so gefroren. »Aber nicht nur deshalb waren sie hinter mir her. Ich war schuld daran, dass Lord Iida vom Pferd gefallen ist.«
    Zu meiner Überraschung prustete der Lord lachend los. »Das hätte ich gern gesehen! Aber dadurch bist du zweifellos doppelt in Gefahr. Es ist eine Beleidigung, die er tilgen muss. Doch du stehst jetzt unter meinem Schutz. Iida darf dich mir nicht wegnehmen.«
    »Sie haben mein Leben gerettet. Von diesem Tag an gehört es Ihnen.«
    Aus irgendeinem Grund brachte ihn das wieder zum Lachen. »Wir haben mit leerem Magen und nassen Kleidern einen langen Weg vor uns. Vor Tagesanbruch müssen wir über der Bergkette sein, wenn sie uns verfolgen.« Er schritt schnell voraus und ich lief ihm nach, meine Beine durften nicht zittern, meine
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