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Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille
Autoren: Lian Hearn
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Zähne nicht klappern. Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen, aber ich wollte, dass er stolz auf mich war und nie bereute, mir das Leben gerettet zu haben.
    »Ich bin Otori Shigeru«, sagte er, als wir zum Joch hinaufstiegen. »Vom Clan der Otori aus Hagi. Aber unterwegs benutze ich diesen Namen nicht, also gebrauche du ihn auch nicht.«
    Hagi war für mich so fern wie der Mond, und obwohl ich von den Otori gehört hatte, wusste ich über sie nur, dass sie vor zehn Jahren von den Tohan bei einer großen Schlacht in der Ebene von Yaegahara besiegt worden waren.
    »Wie heißt du, Junge?«
    »Tomasu.«
    »Das ist ein häufiger Name unter den Verborgenen. Leg ihn besser ab.« Er schwieg eine Weile, dann sagte er kurz aus der Dunkelheit: »Du kannst Takeo heißen.«
    Und so verlor ich zwischen dem Wasserfall und dem Berggipfel meinen Namen, wurde ein Neuer und vereinigte mein Schicksal mit dem der Otori.

    Die Morgenröte fand uns frierend und hungrig im Dorf Hinode, berühmt für seine heißen Quellen. Ich war schon weiter von meinem eigenen Haus entfernt als je zuvor in meinem Leben. Von Hinode wusste ich nur, was die Jungen in meinem Dorf sagten: dass die Männer Betrüger waren und die Frauen so heiß wie die Quellen, bereit, sich für den Preis eines Bechers Wein mit einem hinzulegen. Ich hatte keine Gelegenheit festzustellen, ob etwas davon der Wahrheit entsprach. Keiner wagte es, Lord Otori zu betrügen, und die einzige Frau, die ich sah, war die Frau des Wirts, die unsere Mahlzeiten brachte.
    Ich schämte mich, weil ich schmutzig und blutbefleckt war in den alten Kleidern, die meine Mutter so oft geflickt hatte, dass man unmöglich sagen konnte, welche Farbe sie ursprünglich hatten. Ich konnte nicht glauben, dass der Lord annahm, ich würde bei ihm in der Herberge schlafen. Ich dachte, ich würde im Stall bleiben. Aber offenbar wollte er mich nicht zu oft aus den Augen lassen. Er sagte der Frau, sie solle meine Kleider waschen, und schickte mich zum Baden in die heiße Quelle. Als ich zurückkam, schlaftrunken von der Wirkung des heißen Wassers nach der schlaflosen Nacht, war das Frühstück im Zimmer serviert und er aß bereits. Er winkte mir, ihm Gesellschaft zu leisten. Ich kniete mich auf den Boden und sprach die Gebete, die wir immer vor der ersten Mahlzeit des Tages sagten.
    »Das kannst du nicht machen«, sagte Lord Otori, den Mund voller Reis und eingelegtem Gemüse. »Noch nicht einmal, wenn du allein bist. Wenn du weiterleben willst, musst du diesen Teil deines Lebens vergessen. Er ist für immer vorbei.« Er schluckte und nahm einen weiteren Bissen. »Man kann für Besseres sterben.«
    Ein wahrer Gläubiger hätte wahrscheinlich trotzdem auf den Gebeten bestanden. Ob das wohl die toten Männer meines Dorfs getan hätten? Ich erinnerte mich an ihre Augen, die leer und überrascht zugleich ausgesehen hatten, und hörte auf zu beten. Ich hatte keinen Appetit mehr.
    »Iss«, sagte der Lord nicht unfreundlich. »Ich will dich nicht den ganzen Weg bis Hagi tragen.«
    Ich zwang mich, ein wenig zu essen, damit er mich nicht verspottete. Dann wies er mich an, der Frau zu sagen, sie solle die Betten ausbreiten. Es war mir unangenehm, ihr Befehle zu erteilen; zum einen fürchtete ich, sie würde mich auslachen und fragen, ob ich die Hände nicht mehr gebrauchen könne, zum anderen geschah etwas mit meiner Stimme. Ich spürte, wie sie mir versagte, als wären Worte zu schwach, um auszudrücken, was meine Augen gesehen hatten. Doch sobald die Frau begriffen hatte, was ich meinte, verbeugte sie sich fast so tief wie vor Lord Otori und beeilte sich zu gehorchen.
    Lord Otori legte sich nieder und schloss die Augen. Er schien sofort einzuschlafen.
    Ich dachte, auch ich würde sofort einschlafen, aber meine Gedanken sprangen entsetzt und erschöpft hin und her. Die verbrannte Hand schmerzte, und ich hörte alles um mich herum mit ungewöhnlicher und leicht beängstigender Klarheit - jedes Wort, das in der Küche gesprochen wurde, jedes Geräusch aus dem Ort. Immer wieder dachte ich an meine Mutter und die kleinen Mädchen. Ich sagte mir, dass ich sie nicht tot gesehen hatte. Vielleicht waren sie weggelaufen und in Sicherheit. Jeder in unserem Dorf mochte meine Mutter. Sie hätte nicht den Tod gewählt. Obwohl sie als Verborgene geboren worden war, gehörte sie nicht zu den Fanatikern. Sie entzündete Weihrauch im Schrein und brachte dem Gott des Berges Opfergaben. Meine Mutter mit dem breiten Gesicht, den rauen
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