Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Schwert in Der Stille

Das Schwert in Der Stille

Titel: Das Schwert in Der Stille
Autoren: Lian Hearn
Vom Netzwerk:
hatten.
    Aus der Ferne hörte ich mit schärfster Klarheit das trommelnde Geräusch eines galoppierenden Pferds. Als die Hufschläge näher kamen, überkam mich ein Gefühl der Vorauserinnerung, wie man es aus Träumen kennt. Ich wusste, wen ich eingerahmt zwischen den Toren des Schreins sehen würde. Noch nie im Leben hatte ich ihn gesehen, doch meine Mutter hatte ihn uns als eine Art Menschen fressendes Ungeheuer dargestellt, damit wir gehorchten: Strolcht nicht auf dem Berg herum, spielt nicht am Fluss, sonst erwischt euch Iida! Ich erkannte ihn sofort: Iida Sadamu, Lord des Tohanclans.
    Das Pferd bäumte sich auf und wieherte, als es Blut roch. Iida saß so still, als wäre er aus Eisen gegossen. Er war von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Panzer gekleidet, sein Helm trug ein Geweih. Unter seinem grausamen Mund hatte er einen kurzen schwarzen Bart. Seine Augen glänzten wie bei einem Mann auf der Jagd.
    Diese glänzenden Augen waren auf mich gerichtet. Sofort wusste ich zwei Dinge über ihn: erstens, dass er nichts im Himmel oder auf Erden fürchtete; zweitens, dass er das Töten um des Tötens willen liebte. Jetzt, da er mich gesehen hatte, gab es keine Hoffnung.
    Er hielt das Schwert in der Hand. Das Einzige, was mich rettete, war der Widerwille des Pferdes vor dem Tor. Es bäumte sich erneut auf und tänzelte zurück. Iida rief. Die Männer im Schrein drehten sich um, sahen mich und schrien in ihrem rauen Tohandialekt auf. Ich schnappte den Rest Weihrauch, bemerkte dabei kaum, dass ich mir die Hand verbrannte, und rannte durch das Tor. Als sich das scheuende Pferd mir näherte, warf ich ihm den Weihrauch in die Flanke. Es bäumte sich über mir auf, die riesigen Füße schlugen an meinen Wangen vorbei. Ich hörte, wie das Schwert durch die Luft sauste, und wusste, dass die Tohan alle um mich herum waren. Es schien unmöglich, dass sie mich verfehlten, aber es kam mir vor, als hätte ich mich in zwei Personen gespalten. Ich stürzte mich wieder auf das Pferd. Es schnaubte vor Schmerz und bockte. Iida war durch den Schwertschlag, der irgendwie sein Ziel verfehlt hatte, aus dem Gleichgewicht gekommen, jetzt fiel er über den Pferdehals nach vorne und rutschte schwer zu Boden.
    Entsetzen packte mich, danach Panik. Ich hatte den Lord der Tohan vom Pferd gestürzt. Eine solche Tat konnte nur durch endlose Folter und Qual gesühnt werden. Ich hätte mich zu Boden werfen und den Tod verlangen müssen. Aber ich wollte nicht sterben. Etwas regte sich in meinem Blut und sagte mir, dass ich nicht vor Iida sterben würde. Zuerst würde ich ihn tot sehen.
    Ich wusste nichts über den Krieg der Clans, nichts über ihre starren Regeln und ihre Fehden. Ich hatte mein ganzes Leben unter den Verborgenen verbracht, die nicht töten dürfen und die man lehrt, einander zu vergeben. Aber in diesem Moment machte mich die Rache zu ihrem Schüler. Ich erkannte sie sofort und lernte auf der Stelle ihre Lektionen. Sie war das, was ich ersehnte; sie würde mich vor dem Gefühl retten, ein lebender Geist zu sein. In diesem Bruchteil einer Sekunde nahm ich sie in meinem Herzen auf. Ich trat gegen den Mann, der mir am nächsten war, traf ihn zwischen den Beinen, grub meine Zähne in eine Hand, die mein Handgelenk gepackt hatte, riss mich los und lief auf den Wald zu.
    Drei kamen mir nach. Sie waren größer als ich und konnten schneller rennen, aber ich kannte mich hier aus und die Dunkelheit brach herein. Der Regen war jetzt stärker und machte die steilen Bergpfade schlüpfrig und tückisch. Zwei der Männer riefen mir dauernd zu, was sie mir mit dem größten Vergnügen antun würden, sie verfluchten mich in Worten, deren Bedeutung ich nur erraten konnte, aber der Dritte lief schweigend, und vor ihm hatte ich Angst. Die beiden anderen würden wohl nach einer Weile umkehren zu ihrem Maisschnaps oder sonstigem Fusel, mit dem sich die Tohan betranken, und behaupten, sie hätten mich auf dem Berg verloren, aber dieser würde nie aufgeben. Er würde mich unaufhörlich verfolgen, bis er mich getötet hätte.
    Als der Pfad in der Nähe des Wasserfalls steiler wurde, blieben die beiden Lärmenden ein wenig zurück, doch der Dritte beschleunigte sein Tempo wie ein Tier, das bergauf läuft. Wir kamen am Schrein vorbei; ein Vogel pickte in der Hirse und flog mit einem Aufblitzen von Grün und Weiß in den Flügeln davon. Der Pfad bog um den Stamm einer riesigen Zeder, und während ich mit schweren Beinen und keuchendem Atem an dem Baum vorbeirannte,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher