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Das schweigende Kind

Das schweigende Kind

Titel: Das schweigende Kind
Autoren: R Schrott
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geschnitzten Phallus, mit dem Mädchen defloriert wurden, und eine hohle Tonfigur, in die man etwas von sich legte: doch selbst solche Götter halfen nicht. Auch wenn wir die Welt in unser Bett zu holen versuchten – es änderte nichts an dem Umstand, den uns schließlich ein Arzt explizierte: dass nämlich die Unfruchtbarkeit deiner Mutter von einer inneren Verkrampfung rühre, die ihr die Eileiter verschließe.
    Also blieb bloß die Medizin: der noch warme Samen in einem Plastikfläschchen, das in eine Zentrifuge gesteckt wurde, um die besten Zellen auszusondern, das entnommene Ei und ein Reagenzglas. Ich konnte einen Blick durchs Mikroskop auf die dickflüssige Substanz werfen, auf dieses Gewimmel von schwarzen Geißeln, meinen Teil an dir, bevor er in das Ei eindrang. Eine Befruchtung im Glas.
    Alle zwei Wochen kamen wir zur Kontrolle, um dich auf dem Schirm zu sehen: Erst warst du nur ein Punkt in einem dunklen Rauschen, der Leuchtspur eines Partikels in einer Wolkenkammer ähnlich, dann ein Umriss, in dem deine Mutter sofort deinen Kopf oder deine Gliedmaßen erkannte, während mich die Ultraschallaufnahmen an die Fehlfarbenbilder von Galaxien erinnerten, dein Herzschlag das Klicken im Lautsprecher eines Radioteleskops.
    Doch begann deine Mutter da schon von mir abzurücken; du wuchst aus ihr und warst deshalb auch ihres geworden. Meine Hand auf ihren Bauch zu legen, um eine deiner Bewegungen zu spüren, genügte nicht mehr für das Glück, weder mir, der so nur Fremdes ertastete, noch ihr, die sich alleingelassen fühlte und in ihre Welt zurückzog. Von Instrumenten abstrahiert, wurde der Himmel zu etwas Fernem, eine Leere, die uns umschloss, unmerklich einsickernd und unsere Instinkte erfassend, kalt von innen heraus, dass sie spröde wurden wie Metall in Stickstoff, unsere Gefühle so taub, dass Schmerz eine Erleichterung wurde und Gewalt Befreiung.
    Doch so wie die Konstellationen unmerklich mit der Zeit auseinanderdriften, um sich zu neuen Figuren zu formieren, ändern auch wir uns. Würden wir einander wiedererkennen, wenn wir uns zufällig begegneten? Wie wirst du aussehen, einmal zur Frau geworden?
    Dass wir aber zusammengehörten, wusste ich in dem Moment, als ich dich das erste Mal in meinen Armen hielt. Du erkanntest mich, ein Lächeln lief über dein Gesicht und blieb, und ich gab dir nicht mein übliches schiefes Grinsen zurück, sondern entdeckte eines, das ich bislang von mir nicht gekannt hatte. Wir waren ein Herz; doch was die Seele betrifft, so erwächst sie in jedem anders und aus dem, was wir tun. Ich war ohnmächtig, fast bis zum Schluss war ich das, ohne zu ahnen, dass mir daraus auch Stärke hätte erwachsen können und ein reines Gewissen.

FÜNF
    Wäre die Wahrheit doch etwas bestimmbar Ganzes, unverrückbar für sich; stattdessen führt eines zum anderen und weiter, und immer zu Einzelnem.
    Als wir an diesem Vormittag in Kroatien abgeholt wurden, nahm Kim im Fond Platz, während der Verleger mir gönnerhaft zuzwinkerte, als sähe er in mir noch einen Studenten; und zu allem Überdruss meinte er noch, mir zur ›geheimnisvollen Schönheit meiner jüngsten Eroberung‹ gratulieren zu müssen. Zuvor hatte er uns mit Milan bekannt gemacht, in jenem überkorrekt akzentuierten Deutsch, das ihm die Jesuiten seines Schweizer Internats eingebleut hatten. Sie sind hier auf einem von Milans Weingütern untergebracht, fügte er mit ausholender Geste hinzu.
    Ich beeilte mich, Milan für seine Gastfreundschaft Dank auszusprechen. Der jedoch blieb einsilbig und musterte uns bloß, sein Blick ebenfalls unangenehm lange an Kim haftend; er war darin weniger geschickt als der Verleger. Früher hätte mich das gestört, weil deine Mutter von mir erwartet hatte, mich in solchen Situationen vor sie zu stellen, andernfalls sie eine Feindseligkeit an den Tag legte, die viele meiner Bekannten abstieß. Kim jedoch verstand es, Distanz zu wahren und hörte dem Verleger höflich zu, der ihr erzählte, dass schon Dionysos in diese Berge gekommen war und seine Reben mitgebracht hatte. In dem Kirchlein da rechts gibt es Fresken aus dem 13. Jahrhundert, die ihn als Heiland bei etwas zeigen, das man Bacchanalien nennen kann. Sie interessieren sich doch für Kunst?, meinte er mit einem Seitenblick auf mich.
    Ich überließ Kim die Antwort, die unweigerlich zur Frage führte, welchem Beruf sie nachging. Doch da gab es einen Knall und ein Teil des Seitenspiegels flog durch das herabgekurbelte Fenster in das Auto. Milan
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