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Das schwarze Messer

Das schwarze Messer

Titel: Das schwarze Messer
Autoren: Andreas Eschbach
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stimmt. Aber es besteht kein Grund zur Sorge.«
    Das war nicht ganz die Wahrheit. In Wahrheit hatte der Schrein nur einen einzigen Mäzen, der wohlhabend genug war, um ihnen aus ihrer finanziellen Schieflage zu helfen. Und Tanjirō hatte es bis jetzt vor sich hergeschoben, ihn darauf anzusprechen. Vielleicht war diese Begegnung ein Zeichen, dass es an der Zeit war, es endlich zu tun. Am besten gleich kommende Woche.
    Der Engländer seufzte. Nun merkte man ihm doch die Enttäuschung an.
    »Gestatten Sie mir eine letzte Frage, Tanjirō- sensei ?«, bat er.
    Tanjirō nickte einladend.
    »Ich bin fremd in Ihrem Land. Ich weiß von Ihren Sitten und Gebräuchen nur, was ich in Büchern gelesen habe, deswegen bitte ich im Voraus um Verzeihung, falls ich mit meiner Frage Tabus verletzen sollte. Es ist nicht meine Absicht. Meine Frage ist, ob es etwas gibt – irgendetwas –, was Sie dazu bewegen könnte, mir das Messer dennoch zu verkaufen? Traditionen beginnen, aber sie enden auch irgendwann. Was könnte Sie veranlassen, die Tradition hinsichtlich dieses Steinmessers zu beenden?«
    Tanjirō überlegte. Das war eine ernsthafte Frage, die einer ernsthaften Antwort bedurfte. »Ich müsste zu der Überzeugung kommen«, erklärte er schließlich, »dass es der Wille der Kami ist. Das ist es, was ich tue – den Kami als Medium dienen, damit sie den Menschen ihren Willen offenbaren können.«
    »Verstehe.« Der Engländer zögerte. »Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass dies geschieht, oder?«
    »Das weiß man nicht«, räumte Tanjirō ein.
    Der Mann erhob sich, verneigte sich noch einmal. »Sollte es irgendwann geschehen«, sagte er, »meine Nummer haben Sie. Leben Sie wohl.«
    Damit ging er. Er wirkte bedrückt, und Tanjirō fragte sich, was jemand an einem schartigen alten Steinmesser finden mochte. Es gab schon seltsame Menschen auf der Welt.
    Nach weiterem Nachdenken rief er Hakurei, eine der Miko , die ihm bei der Arbeit im Schrein zur Hand gingen, und wies sie an, ihm das Schwarze Messer zu bringen. Besser, er verwahrte es die kommenden Monate im Safe, nur für alle Fälle. Falls dieser – er sah noch einmal auf der Visitenkarte nach – dieser Peter Brown auf die Idee kam, zu stehlen, was man ihm nicht verkaufen wollte.
    Zwei Tage später war es abermals Hakurei, die ihm den Brief brachte. Tanjirō drehte das billige Stück Karton aus dem Umschlag betroffen in Händen, nachdem er den Text darauf gelesen hatte. Die Machart allein sprach Bände: Mehr war Ichiro Makoto seinen Kindern also nicht wert gewesen! Kein Wunder, dass er sein Geld lieber dem Schrein hatte zukommen lassen.
    Was er nun nicht mehr tun würde. Und bei seinen Kindern, das wusste Tanjirō, brauchte er erst gar nicht anzufragen.
    »Ichiro Makoto war der größte Mäzen unseres Schreins«, erklärte er der Miko , die immer noch abwartend dasaß, das rote Kleid ordentlich über den Beinen zusammengelegt. »Genau genommen der einzige.«
    Sie sah ihn beklommen an. »Was werdet Ihr nun tun, Tanjirō- sensei ?«
    Tja. Was würde er tun? Hakurei war mit einem Elektriker verheiratet und hoffte darauf, ein Kind zu bekommen. Dann würde sie aufhören, im Schrein zu arbeiten. Es sprach für sie, dass sie überhaupt fragte.
    Tanjirō legte die Karte mit der Nachricht vom Tode Ichiros beiseite. »Ich werde tun, was meine Aufgabe ist«, erklärte er. »Ich werde den Willen der Kami erforschen.«
    Nachdem Hakurei gegangen war, ging Tanjirō zum Safe, öffnete ihn und nahm die Visitenkarte des Engländers heraus, die er neben das Schwarze Messer gelegt hatte.
    War es denkbar, dass die Kami durch einen Gaijin wirkten? Es sah ganz so aus.
    Und er erinnerte sich, dass sein Vorgänger im Amt des Kannushi das Schwarze Messer als »hässlichen Trödel« bezeichnet hatte.
    Alain Whitstock II. tippte den Code ein, der die Tür zu seiner Sammlung öffnete. Er trat ein und zog sie sofort wieder hinter sich zu.
    Alles war noch genau so, wie er es zurückgelassen hatte. Wie hätte es anders sein können? Niemand außer ihm hatte Zutritt zu diesem Raum. Was bedeutete, dass auch niemand darin sauber machte. Auf sämtlichen Regalen, auf den Kisten, Kästen und Behältnissen und auf den Lampen, überall lag dick der Staub. Es roch auch nach Staub, und das Licht wurde mit jedem Jahr düsterer.
    Unwichtig. Wichtig war, dass Brandmelder installiert waren, eine Sprinkleranlage und eine Alarmanlage, alles vom Besten. Daran hatte er nicht gespart.
    Er durchwanderte sein Reich. Regale
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