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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest
Autoren: Frederick Forsyth
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Unterdrückung jeglicher Rede- und Reisefreiheit.
    Die russischen Wähler waren jetzt zutiefst enttäuscht von den beiden einst gepriesenen Rettern: Kapitalismus und Demokratie. Das zweite Wort wurde verächtlich ausgesprochen. Für viele Russen, die sich von allgegenwärtiger Korruption und grassierendem Verbrechen umgeben sahen, war alles eine große Lüge gewesen. Als die Stimmen ausgezählt waren, stellten die Kryptokommunisten die stärkste Fraktion in der Duma und hatten Anspruch auf das Amt des Parlamentspräsidenten.
    Zweitstärkste Fraktion nach den Linken wurden ihre scheinbar erbittertsten Gegner, die Neofaschisten Wladimir Schirinowskis, des Vorsitzenden der unter falscher Flagge segelnden Liberaldemokratischen Partei. Im Wahljahr 1991 hatte dieser primitive Demagoge mit seiner Vorliebe für bizarres Verhalten und Ausdrücke aus der Fäkaliensprache erstaunlich gut abgeschnitten, aber sein Stern war im Sinken begriffen. Trotzdem stand er noch hoch genug, um ihn zum Vorsitzenden der zweitstärksten Fraktion zu machen.
    Zwischen diesen beiden Blöcken wurden die Zentrumsparteien, die auf den von ihnen eingeführten Wirtschafts- und Sozialreformen beharrten, die drittstärkste Fraktion.
    Der eigentliche Effekt dieser Wahl war jedoch, daß sie den Boden für den Präsidentschaftswahlkampf 1996 bereiteten. An der Dumawahl hatten sich dreiundvierzig selbständige Parteien beteiligt, und alle Parteivorsitzenden erkannten, daß sie ihre Kräfte durch Wahlbündnisse bündeln mußten.
    Noch vor dem Sommer schlossen die Kryptokommunisten sich mit ihren natürlichen Verbündeten, der Agrarier- oder Bauernpartei, zur Sozialistischen Union zusammen – eine clevere Bezeichnung, weil sie zwei Buchstaben aus dem alten Staatsnamen UdSSR enthielt. Ihr Vorsitzender blieb Sjuganow.
    Bei den Ultrarechten gab es ebenfalls Vereinigungsbestrebungen, gegen die Wladimir Schirinowski jedoch erbittert opponierte. »Wlad der Verrückte« rechnete sich aus, die Präsidentenwahl ohne die Unterstützung der übrigen Rechtsparteien gewinnen zu können.
    Die russische Präsidentenwahl findet wie die französische in zwei Durchgängen statt. In der ersten Runde konkurrieren alle Kandidaten gegeneinander – aber nur die auf den Plätzen eins und zwei kommen in die Stichwahl. Schirinowski landete weit hinten. Die klügeren politischen Strategen der Ultrarechten waren verständlicherweise wütend auf ihn.
    Das Dutzend Zentrumsparteien vereinigte sich – mehr oder weniger – zur Demokratischen Allianz, und im Frühjahr 1996 blieb die entscheidende Frage, ob Boris Jelzins Gesundheitszustand es ihm erlauben würde, nochmals als Präsident zu kandidieren und die Wahl zu gewinnen.
    Seinen Niedergang würden Historiker später an einem einzigen Wort festmachen: Tschetschenien.
    Nachdem Jelzins Geduld ein Jahr zuvor aufs äußerste strapaziert worden war, hatte er die gesamte Macht des russischen Heeres und der Luftwaffe gegen einen kleinen, kriegerischen Stamm von Bergbewohnern eingesetzt, dessen selbsternannter Führer auf völliger Unabhängigkeit von Moskau bestand. Daß die Tschetschenen Schwierigkeiten machten, war nichts Neues – ihr Widerstand ging bis auf die Zarenzeit und noch weiter zurück. Sie hatten es irgendwie geschafft, die Ausrottungsfeldzüge mehrerer
Zaren
und des Grausamsten von allen, Josef Stalin, zu überleben. Irgendwie hatten sie die wiederholten Verwüstungen ihres winzigen Heimatlands, Deportationen und Völkermord überlebt und sich weiter zur Wehr gesetzt.
    Der Einsatz der gesamten russischen Militärmacht gegen sie war eine übereilte Entscheidung, die nicht zu einem schnellen, glorreichen Sieg führte, sondern zur völligen Zerstörung der tschetschenischen Hauptstadt Grosny – alles vor laufenden Kameras und in herrlichen Farben – und zu einem endlosen Strom russischer Soldaten, die in Leichensäcken aus dem Feldzug heimkehrten.
    Als ihre Hauptstadt in Trümmern lag, zogen die Tschetschenen, die noch immer bis an die Zähne bewaffnet waren – hauptsächlich mit Waffen, die korrupte russische Generäle ihnen verkauft hatten –, sich in die Berge zurück, die sie so gut kannten und aus denen niemand sie so leicht vertreiben konnte. Dieselbe russische Armee, die ihr ruhmloses Vietnam bei dem Versuch erlebt hatte, Afghanistan zu besetzen und zu halten, schuf sich jetzt ein zweites in den wilden Vorbergen des Kaukasus.
    Hatte Boris Jelzin seinen Feldzug gegen die Tschetschenen angefangen, um sich nach
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