Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest
Autoren: Frederick Forsyth
Vom Netzwerk:
zu übernehmen. Mit Wladimir Schirinowskis Anziehungskraft und Politikerkarriere war es zu Ende.
    Binnen zwei Jahren nach der Wahl von 1996 begann der Niedergang der Kryptokommunisten. Ihre Anhänger waren schon immer Menschen in mittleren Jahren und die Alten gewesen, und sie hatten nun Schwierigkeiten, Geld aufzutreiben. Ohne Unterstützung durch Großbanken reichten allein die Mitgliedsbeiträge nicht mehr aus. Kapital und Anziehungskraft der Sozialistischen Union schwanden.
    Im Jahr 1998 war Komarow der unumstrittene Führer der Ultrarechten und in bester Position, um die wachsende Verzweiflung des russischen Volkes, für die es reichlich Gründe gab, für seine Zwecke auszunutzen.
    Aber trotz aller Armut, trotz allem Elend gab es andererseits auch protzigen Reichtum, der die Menschen staunen ließ. Die neuen Reichen hatten Unsummen von Geld, viel davon in Devisen. Sie rasten in langgestreckten Limousinen – aus amerikanischer oder deutscher Herstellung, weil die Autofabrik SIL nicht mehr produzierte – durch die Stadt, oft von einer Motorradeskorte begleitet, die ihnen den Weg freimachte, und im allgemeinen von einem zweiten Wagen mit Leibwächtern gefolgt.
    Abend für Abend waren sie im Foyer des Bolschoitheaters, in den Bars und Bankettsälen der Hotels Metropol und National anzutreffen, und ihre Nutten waren in Nerz und Zobel gehüllt, dufteten nach Pariser Parfüms und trugen glitzernden Diamantschmuck zur Schau. Die neuen Großkotze waren noch großkotziger als die früheren Bonzen.
    In der Staatsduma schrien die Abgeordneten durcheinander, schwenkten Anträge zur Geschäftsordnung und verabschiedeten Entschließungen. »Das erinnert mich an alles«, sagte ein englischer Auslandskorrespondent, »was ich jemals über die letzten Tage der Weimarer Republik gehört habe.«
    Der einzige Mann, der vielleicht einen Hoffnungsschimmer anzubieten hatte, war Igor Komarow.
    In den zwei Jahren seit seiner Machtergreifung im rechten Parteienspektrum hatte Komarow die meisten in- und ausländischen Beobachter überrascht. Hätte er sich damit begnügt, nur ein überragender politischer Organisator zu sein, wäre er lediglich irgendein weiterer Apparatschik gewesen. Aber er veränderte sich. Zumindest glaubten das die Beobachter. Eher besaß er eine Gabe, von der er bisher bewußt nicht Gebrauch gemacht hatte.
    Komarow machte sich einen Namen als leidenschaftlicher und charismatischer Volksredner. Sobald er ans Rednerpult trat, staunten alle, die sich an den stillen, zurückhaltenden, pedantischen Mann erinnerten, der er im Privatleben war. Er wirkte wie verwandelt. Seine Stimme wurde zu einem hallenden, volltönenden Bariton, der die vielen Redensarten und Modulationen des Russischen höchst wirkungsvoll einsetzte. Er konnte seine Stimme fast zu einem Flüstern herabsenken, so daß sein Publikum sich trotz der Mikrofone anstrengen mußte, um zu hören, was er sagte, und dann wieder zu flammendem Pathos erheben, das die Massen aufspringen ließ und selbst die Skeptiker zu jubelndem Beifall hinriß.
    Er entwickelte sich rasch zu einem Meister auf seinem eigenen Spezialgebiet, den Massenkundgebungen. Er mied im Fernsehen übertragene Kamingespräche und sogar Fernsehinterviews, weil er wußte, daß sie im Westen vielleicht ankamen, aber nichts für Rußland waren. Russen laden nicht allzuoft Gäste zu sich nach Hause ein – und schon gar nicht die ganze Nation.
    Ebensowenig war er daran interessiert, sich feindseliger Fragen erwehren zu müssen. Jede seiner Reden war sorgfältig inszeniert, aber deshalb um so wirkungsvoller. Er sprach ausschließlich vor Versammlungen von Getreuen seiner Partei, bei denen nur Kameras seines eigenen Filmteams unter Leitung des brillanten jungen Regisseurs Litwinow zugelassen waren. Geschnitten und redigiert, wurden diese Filme zur landesweiten Fernsehausstrahlung zu seinen eigenen Bedingungen – vollständig und ungekürzt – freigegeben. Das ließ sich erreichen, indem er Sendezeit kaufte, statt sich auf die Launen von Nachrichtenmoderatoren zu verlassen.
    Sein Thema war immer das gleiche und immer populär: Rußland, Rußland und noch mal Rußland. Er zog über die Ausländer her, deren internationale Verschwörungen Rußland in die Knie gezwungen hatten. Er forderte die Ausweisung aller »Schwarzen« – die umgangssprachliche russische Bezeichnung für Armenier, Georgier, Aserbaidschaner und andere Menschen aus dem Süden, von denen viele zu den reichsten kriminellen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher