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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest
Autoren: Frederick Forsyth
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Profiteuren gehörten. Er rief nach Gerechtigkeit für das arme, entrechtete russische Volk, das sich eines Tages gemeinsam mit ihm erheben würde, um die glorreiche Vergangenheit wiederherzustellen und den Schmutz zu beseitigen, der die Straßen des Mutterlandes verstopfte.
    Komarow versprach allen alles. Für die Arbeitslosen würde es Arbeit, einen gerechten Tageslohn für ein ehrliches Tagewerk, Essen auf dem Tisch und wieder Würde geben. Für die Alten, deren Ersparnisse die Inflation aufgefressen hatte, würde es wieder eine stabile Währung und ein kleines finanzielles Polster für einen behaglichen Lebensabend geben. Für alle in der Uniform der
Rodina,
des heiligen Mutterlandes, würde es wieder Stolz geben, der sie die Demütigungen der durch ausländisches Kapital in Führungspositionen gelangten Memmen vergessen ließe.
    Und sie hörten ihn. Im Rundfunk und Fernsehen hörten sie ihn in den Weiten der Steppe. Die Soldaten der einst so großen russischen Armee hörten ihn unter Zeltleinwand zusammengedrängt, in einer endlosen Serie von Rückzügen aus dem sowjetischen Machtbereich, aus Afghanistan, Ostdeutschland, der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Lettland, Litauen und Estland vertrieben.
    Die Bauern hörten Komarow in ihren in den Weiten Rußlands verstreuten Hütten und
Isbas.
Die Angehörigen des ruinierten Mittelstands hörten ihn zwischen den wenigen Möbelstücken, die sie noch nicht versetzt hatten, um Essen auf den Tisch und ein paar Kohlen in den Ofen zu bekommen. Selbst die Industriebosse hörten ihn und träumten davon, daß ihre Hochöfen eines Tages wieder brausend arbeiten würden. Und als er ihnen versprach, der Engel des Todes werde grimmige Ernte unter den Betrügern und Verbrechern halten, die ihre geliebte Mutter Rußland vergewaltigt hatten, liebten sie ihn.
    Im Frühjahr 1999 lud Igor Komarow auf Drängen seines PR-Beraters, eines sehr cleveren jungen Mannes, der ein amerikanisches Ivy League College absolviert hatte, zu einer Reihe von Privatgesprächen ein. Der junge Boris Kusnezow wählte die Gesprächspartner gut aus: hauptsächlich Senatoren, Abgeordnete und Journalisten des konservativen Flügels quer durch Amerika und Westeuropa. Diese Gespräche verfolgten den Zweck; deren Ängste zu beschwichtigen.
    Die Kampagne war ein brillanter Erfolg. Die meisten Gäste erwarteten bei ihrer Ankunft, das zu finden, was ihnen vorausgesagt worden war: einen fanatischen rechtsradikalen Demagogen, der wahlweise als Rassist oder Neofaschist oder als beides bezeichnet wurde.
    Statt dessen sahen sie sich einem nachdenklichen, unauffällig gekleideten Mann mit guten Manieren gegenüber. Da Komarow kein Englisch sprach, saß sein PR-Berater als Dolmetscher neben ihm und steuerte zugleich das Gespräch. Äußerte sein verehrter Führer etwas, das im Westen falsch interpretiert werden konnte, machte Kusnezow daraus einfach etwas, das im Englischen akzeptabler klang. Das merkte niemand, denn er hatte darauf geachtet, nur Gäste einzuladen, die kein Russisch sprachen.
    So konnte Komarow ihnen erklären: Als praktizierende Politiker haben wir alle unsere Wählerschaft, die wir nicht unnütz vor den Kopf stoßen dürfen, wenn wir gewählt werden wollen. Deshalb müssen wir manchmal etwas sagen, das die Wähler von uns hören wollen, obwohl die Verwirklichung viel schwieriger werden kann, als wir vorgeben. Und die Senatoren nickten verständnisvoll.
    Oder er führte aus: In den älteren westlichen Demokratien wird weithin anerkannt, daß alle gesellschaftliche Disziplin mit Selbstdisziplin beginnt, so daß die von außen, vom Staat verordnete Disziplin weniger strikt sein kann. Aber wo alle Formen der Selbstdisziplin zerfallen sind, muß der Staat unter Umständen härter durchgreifen, als in Europa akzeptabel wäre. Und die Abgeordneten nickten verständnisvoll.
    Den konservativen Journalisten erläuterte er: Die Wiederherstellung einer stabilen Währung ist einfach nicht möglich, ohne daß anfangs drakonische Maßnahmen gegen Verbrechen und Korruption ergriffen werden. Die Journalisten schrieben, Igor Komarow sei ein Mann, der in wirtschaftlichen und politischen Fragen wie der Zusammenarbeit mit dem Westen vernünftigen Argumenten zugänglich sei. Er stehe vielleicht zu rechts, um in einer europäischen oder amerikanischen Demokratie akzeptabel zu sein, und seine hitzige Demagogie klinge für westliche Ohren vielleicht etwas beängstigend, aber für Rußland in seiner gegenwärtigen Notlage sei er
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