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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest
Autoren: Frederick Forsyth
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Knoten schneller als die
Foxy Lady
lief. Der Insulaner winkte grüßend, und der amerikanische Skipper winkte zurück. Er sah im Heck der
Silver Deep
zwei Taucher sitzen und vermutete, daß sie gemeinsam das Korallenriff vor Northwest Point erkundet hatten. Heute würde es bei den Deans Hummer zum Abendessen geben.
    Bevor er die
Foxy Lady
durch die Einfahrt steuerte, ging er mit der Geschwindigkeit herunter, weil auf beiden Seiten rasiermesserscharfe Korallen nur eine Handbreit unter der Wasseroberfläche lauerten. Sobald die Lücke passiert war, richtete er sich auf mühelose zehn Minuten entlang der Küste nach Turtle Cove ein.
    Der Skipper liebte die
Foxy Lady,
die für ihn sein Lebensunterhalt und seine Geliebte zugleich war. Sie war eine zehn Jahre alte, einunddreißig Fuß lange Bertram Moppie – ursprünglich nach der Frau ihres Konstrukteurs Dick Bertram benannt –, und obwohl sie weder das größte noch das luxuriöseste Charterboot in Turtle Cove war, nahm ihr Eigner und Skipper es mit der
Foxy Lady
mit jeder See und jedem Fisch auf. Als er vor fünf Jahren auf die Inseln übergesiedelt war, hatte er sie durch eine Kleinanzeige im Fachblatt
Boat Trader
von einer Werft in Südflorida aus zweiter Hand gekauft und dann Tag und Nacht an ihr gearbeitet, bis sie das rassigste Boot der gesamten Inselgruppe war. Und obwohl er den Kaufpreis noch immer abstottern mußte, hatte ihn noch kein Dollar gereut, den er für sie ausgegeben hatte.
    Im Hafen bugsierte er die
Foxy Lady
an ihren Liegeplatz, der durch ein weiteres Boot von der
Sakitumi
seines amerikanischen Kollegen Bob Collins getrennt war, stellte den Motor ab und verließ die Kommandobrücke, um seine Gäste zu fragen, ob ihnen der Tag gefallen habe. Er habe ihnen ausgezeichnet gefallen, versicherten sie ihm und bezahlten die Charter mit einem großzügigen Trinkgeld für ihn und Julius.
    Als sie von Bord gegangen waren, blinzelte er Julius zu, ließ ihn das Trinkgeld und die Fische behalten, nahm seine Mütze ab und fuhr sich mit einer Hand durch sein zerzaustes blondes Haar.
    Dann überließ er es dem grinsenden Insulaner, klar Schiff zu machen, alle Angelruten und Rollen mit Süßwasser abzuspülen und die
Foxy Lady
für die Nacht blitzblank zurückzulassen. Er würde später zurückkommen, um sie abzuschließen, bevor er heimging. Aber vorerst hatte er das Bedürfnis nach einem Daiquiri mit Limone pur, deshalb schlenderte er die Pier entlang zum Banana Boat und grüßte unterwegs alle, wie sie auch ihn grüßten.
    Auch nach zwei Stunden auf der Parkbank am Fluß hatte Leonid Saizew noch immer keine Lösung seines Problems gefunden. Er wünschte sich jetzt, er hätte das Schriftstück nicht an sich genommen. Er wußte nicht wirklich, warum er das getan hatte. Wenn sie's rauskriegten, würde er bestraft werden. Andererseits schien das Leben ihn schon immer bestraft zu haben, und er hatte nie recht verstanden, warum.
    Der Hase war 1936 in einem kleinen Dorf westlich von Smolensk zur Welt gekommen. Es war nicht weiter sehenswert, sondern ein ärmliches Dorf, wie sie zu Zehntausenden übers Land verstreut waren: eine einzelne Straße, im Sommer staubig, im Herbst ein Schlammfluß und im Winter steinhart gefroren. Natürlich ungepflastert. Etwa dreißig Häuser, einige Scheunen und die ehemaligen Bauern, deren Besitz zu einer stalinistischen Kolchose zwangsvereinigt war. Sein Vater war Landarbeiter, und sie hausten in einer elenden Kate unmittelbar an der Durchgangsstraße.
    Etwas weiter die Straße hinunter lebte der Dorfbäcker über seinem kleinen Laden. Leonids Vater warnte ihn vor dem Umgang mit dem Bäcker, den er als
Jewreij
bezeichnete. Der Kleine wußte nicht, was das bedeutete, aber es war offenbar nicht gut, das zu sein. Andererseits sah er, daß seine Mutter dort ihr Brot kaufte, das sehr gut war.
    Er begriff nicht recht, warum er nicht mit dem Bäcker reden sollte, denn er war ein jovialer Mann, der manchmal in der Tür seines Ladens stand, Leonid zublinzelte und ihm eine
bulotschka
zuwarf – ein warmes, klebriges Gebäck, frisch aus dem Backofen. Wegen der Ermahnung seines Vaters lief er hinter den Viehstall, um das Gebäck heimlich zu essen. Der Bäcker und seine Frau hatten zwei Töchter, die er gelegentlich aus dem Laden spitzen sah, obwohl sie nie zum Spielen herauszukommen schienen.
    An einem Tag Ende Juli 1941 kam der Tod ins Dorf. Allerdings wußte der kleine Junge nicht gleich, daß dies der Tod war. Er hörte das Rasseln und Rumpeln
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