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Das Schloß der blauen Vögel

Das Schloß der blauen Vögel

Titel: Das Schloß der blauen Vögel
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stehende Petroleumlampe.
    »Wenn Sie das Licht bitte hochhalten könnten, gnädige Frau …«
    »Muß das sein?« stotterte Luise.
    »Auch der beste Arzt kann im Dunkeln nicht die Vene treffen.«
    »Keine Angst, Schwester!« Sassner strahlte wie ein beschenktes Kind. »In fünf Minuten werden Sie mich singen hören wie eine Nachtigall. Herr Professor, 'rein mit dem Wundermittel …«
    Luise bückte sich, hielt die Lampe hoch und sah ihren Mann an.
    Leb wohl, Gerd, hieß dieser lange, stumme Blick. Es ist vielleicht der letzte Dienst, den ich dir erweisen kann.
    Ein Stich in die Vene. 0,03 g Morphin.
    Die Mauern einer Anstalt werden dich für immer begraben.
    Leb wohl, Gerd … oder ist das ein falscher Wunsch? Wärest du glücklicher, wenn du nicht wieder aufwachtest? Wäre es für uns alle nicht besser? Auch für die Kinder, die glauben werden, du seist an jenem Sommertag im See ertrunken …
    Sassner lehnte sich zurück, als Dorian seinen Arm nahm, seine Brust dagegen drückte und sagte: »Nun machen Sie eine Faust, Herr Kollege.«
    »Bitte!« Sassner hob den Kopf zu Luise. »Warum weinen Sie, Schwester Wadenwickel? In zwei Stunden bin ich wieder normal. Aber dieser Ausflug in paradiesische Gefilde reizt mich! Eine Wanderung in das Land, das das Genie Professor Dorians den Menschen erschlossen hat. Das ist etwas ganz Großes, Schwester … Sie sollten nicht weinen! Es kann gar nichts schiefgehen, der Herr Professor bürgt dafür.«
    »Ich bürge dafür. Sie werden mit dem Leben zufrieden sein.« Dorian stieß die Nadel in die pralle Vene, zog ein wenig Blut ein und injizierte dann schnell das Betäubungsmittel. Mit einem Ruck riß er die Nadel zurück und drückte etwas Gaze auf den Einstich, aus dem ein kleiner Tropfen Blut quoll.
    Es war der Augenblick, in dem Luise Sassner ihre Beherrschung verlor. Sie stellte die Lampe ab, warf sich auf die Knie und umfing den hochaufgerichtet sitzenden Sassner. Sie preßte ihn an sich und streichelte seinen Kopf.
    »Gerd!« rief sie. »Gerd! Was du auch getan hast … ich liebe dich … ich liebe dich … du hast es ja nicht gewollt … du weißt ja nicht, was du getan hast … Mein lieber, lieber Gerd …«
    Es war, als wische die Injektion für eine Sekunde alle Schleier weg, die über Sassners Wesen lagen, als kehre er noch einmal in die reale Welt zurück, ehe er vollends in das Vergessen versank.
    Er begann zu zittern, sein Kopf fuhr hoch, mit großen erkennenden Augen starrte er seine Frau an. Dann brach es aus ihm heraus, dunkel, ein dumpfer, bebender Schrei.
    »Luise!«
    »Gerd!«
    Dann war es vorbei. Endgültig. Sein Kopf sank zur Seite, die Arme fielen schlaff herab, der Körper verlor alle Festigkeit. Er rutschte vom Stuhl und rollte auf die Dielen. Luise versuchte ihn aufzufangen, aber er war zu schwer, er riß sie im Fallen um.
    Dorian ging zum Fenster, öffnete es und stieß die Läden zur Seite. Das letzte Licht des Tages quoll in den Raum, und es war nach dem fahlen Halbdunkel grell wie ein Blitz. Luise und Dorian schlossen für ein paar Sekunden die Augen.
    »Endlich!« rief am Waldrand Kriminalrat Quandt. »Endlich! Der Professor winkt. Er hat es geschafft! Meine Herren, ich gestehe es ohne Erröten: Das war die längste und schrecklichste Stunde meines Lebens!«
    Auch Dr. Keller und Angela atmeten auf. Sie hatten in der letzten halben Stunde genug zu tun gehabt, Quandt und die Polizisten zurückzuhalten, das Haus zu stürmen. »Er hat auch den Professor umgebracht!« schrie Quandt. Er verlor zeitweise die Nerven. »Was hier geschieht, ist nicht zu verantworten! Wir müssen ins Haus!«
    Professor Dorian stand am Fenster und winkte. Ein Krankenwagen fuhr vor die Tür, eine Trage wurde ausgeladen.
    Zehn Minuten später trug man Gerd Sassner aus seinem Schloß der blauen Vögel. Er lag festgeschnallt auf der Trage, eingewickelt in eine weiße Decke, ein Kissen unter dem Kopf, und schlief.
    Über sein Gesicht schwebte ein tiefes, beseligtes Lächeln. Seine Lippen sprachen im Schlaf, aber es waren Worte aus einer andern Welt.
    Oben, im ›OP‹, zog Professor Dorian seine Gummihandschuhe aus und warf Kappe und Mundschutz daneben. Luise saß auf einem der Stühle und blickte in die Weite. Sie war wie versteinert. Jetzt, da alles vorüber war, überfiel sie die große Leere, die immer da ist, wenn ein Mensch, der ein halbes Leben lang neben einem hergegangen ist, plötzlich diese Welt verlassen hat.
    »Was wird man mit ihm machen?« fragte sie, als die Geräusche
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