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Das Schiff aus Stein

Das Schiff aus Stein

Titel: Das Schiff aus Stein
Autoren: Boris Pfeiffer
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zurück zu seinem Schüler, dem Gott Dionysos, und bekam dafür von diesem einen Wunsch frei. Was nach der Folterung des Fauns von Dionysos überaus liebenswürdig war. Midas wünschte sich, dass alles zu Gold werde, was er anfasste. Dionysos erfüllte ihm den Wunsch, obwohl er wusste, was geschehen würde. König Midas aber bemerkte die Dummheit seines Wunsches zuerst gar nicht.
    In den kommenden Tagen fasste er alles an, was er nur berühren konnte. Zweige, Steine, Obst, dass er von den Bäumen riss, das Wasser in einem Krug, den Türpfosten in seinem Palast. Und alles wurde unter seine Berührung zu Gold. Midas war so glücklich, dass er vor Freude großen Hunger bekam.
    Jetzt erst bemerkte er, was er mit seinem Wunsch angerichtet hatte. Denn auch Brot und alles andere Essbare verwandelten sich unter seiner Berührung in Gold. Und als er Wein trinken wollte, floss ihm stattdessen ein goldener Klumpen in den Rachen. Aber einfach so ließ sich der einmal erfüllte Wunsch nicht rückgängig machen. Und so flehte der König den Gott an, seinen Wunsch, der ihm nun wie ein Fluch vorkam, wieder von ihm zu nehmen …«
    »Und hat es geklappt?«, fragte Rufus neugierig.
    »Ja«, antwortete Direktor Saurini. »Der Gott hatte Mitleid mit dem Narren und befahl ihm, sich im Fluss Paktolos reinzuwaschen und dort mit dem Gold auch seine Schuld abzuspülen.«
    »Und?«, rief Rufus.
    Saurini wies auf den Brunnen. »Midas tat, wie der Gott ihn geheißen hatte, und befreite sich so von dem unheilvollen Zauber des Goldes. Dabei ging dieser aber auf das Wasser des Flusses über, der seitdem kleine Goldscheiben in sich führte und seine reinigende Kraft verlor. In diesem Brunnen hier aber, dem Brunnen des Silen, fließt immer noch das reine Wasser des Flusses Paktolos. Ein junger Lehrling hat es vor vielen Jahren in einer Flut in die Akademie gebracht. An diesem Brunnen kann sich jeder, der dem Fluch des Goldes verfallen ist, wieder reinwaschen.
    Und jetzt hör gut zu, die Geschichte hat noch einen zweiten Teil! Aus den Goldscheibchen des verunreinigten Flusses ließ der spätere König Krösus die ersten Goldmünzen der Geschichte prägen. Sie stammen tatsächlich aus dem Fluss, in dem Midas sich laut der Sage seinen Fluch abwusch.«
    »Das wirkliche Geld hat seinen Ursprung in dieser Geschichte?«, fragte Rufus verblüfft.
    Direktor Saurini nickte. »Am Paktolos treffen sich Götter und Menschen, Legende und Wahrheit.«
    Die Geschichte berührte Rufus. Sie ließ ihn an seine Mutter denken, die auch hinter dem Reichtum her war wie König Midas. Aber er fragte sich auch, wieso ausgerechnet die Dummheit eines solchen Mannes zu den ersten Goldmünzen geführt hatte. »Meinen Sie, dass Geld eine dumme Erfindung ist?«, fragte er Direktor Saurini.
    »Ich meine, dass es aus den weniger beseelten Ideen der Menschen über den Sinn ihres Lebens geboren wurde, ja«, gab der Direktor zurück. »Ich meine auch, dass es stark geworden ist und sich nicht mehr verleugnen lässt. Seine Kraft ist seit einigen tausend Jahren in den Köpfen der Menschen größer und weitreichender als alle Stimmen der Natur. Aber nicht das Gold an und für sich ist dumm, wie könnte es auch. Es ist der Mensch, der sein ganzes Leben allein ihm verschreibt. Er wird ja nie genug haben, dafür wird sein Ego, das nach immer mehr schreit, schon sorgen. Und doch würde ihm ein Hauch von Liebe genügen, um ein glückliches Dasein zu führen.«
    Kaum hatte Direktor Saurini seine Worte beendet, ertönte über ihnen ein leises Klatschen. »Bravo, Meister Saurini, das war gut erzählt! Mitunter bedauere ich es, nicht selbst noch ein Lehrling an der Akademie zu sein. Ich würde zu gerne noch einmal an Ihrem Unterricht teilnehmen.«
    Rufus blickte sich suchend um. Er sah einen Kopf, der aus einer Fensterscharte ein Stockwerk über ihnen zu ihnen herabblickte. Doch ehe er den Sprecher erkennen konnte, hatte dieser seinen Kopf bereits zurückgezogen.
    Im gleichen Moment setzten sich schnelle Schritte in Bewegung, die zu ihnen herunterliefen.
    Direktor Saurini atmete tief durch. »Jetzt hätte ich mich beinahe erschrocken«, murmelte er. »Warum kommt er hierher? Hält er mein Büro etwa für nicht sicher genug? Und wie hat er uns gefunden?«
    Offenbar hatte er im Gegensatz zu Rufus den Sprecher an seiner Stimme erkannt.
    Der Direktor und Rufus lauschten auf die Schritte, die jetzt näher kamen. Doch ehe diese sie erreichten, schoss ein lautloser schwarzer Schatten um die Ecke und raste
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