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Das Schicksal in Person

Das Schicksal in Person

Titel: Das Schicksal in Person
Autoren: Agatha Christie
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ist das für Sie alles gar nicht so wichtig?«
    »Nein, erzählen Sie nur weiter«, sagte Professor Wanstead. »Für mich ist es sogar sehr wichtig, denn es gibt da Verbindungen zu Dingen, die ich in meinem Beruf schon oft erfahren habe. Mir ist wichtig zu hören, was Sie dachten und empfanden.«
    »Ja, machen Sie weiter«, sagte auch Sir Andrew McNeil.
    »Ich hatte das Gefühl, als müsse ich dort hingehen, als könnte ich dort mehr erfahren. Es war keine logische Schlussfolgerung, nur eine instinktive Reaktion.«
    »Ja, so etwas gibt es«, sagte Professor Wanstead.
    »Dort wohnen also diese drei Schwestern. Und sofort musste ich an die ›Drei Schwestern‹ in der russischen Literatur denken und an die drei Nornen. Das hat so etwas Düsteres, Unheimliches, dieser Ausdruck: Drei Schwestern. Und die Atmosphäre im Hause passte dazu. Man hatte das Gefühl, von Trauer und Unglück umgeben zu sein, auch von Angst. Daneben war aber auch etwas, das gegen diese Stimmung ankämpfte, etwas, das ich nur als Atmosphäre des Normalen bezeichnen kann.«
    »Das ist interessant«, sagte Wanstead.
    »Wahrscheinlich war dies Mrs Glynne zu verdanken«, sagte Miss Marple.
    »Sie war es ja, die mich im Hotel aufsuchte und die Einladung aussprach. Eine ganz normale Frau, eine Witwe. Nicht besonders glücklich, aber nur deswegen, weil sie in der falschen Umgebung lebte. Sie brachte mich ins Old Manor House, und dort lernte ich die beiden anderen Schwestern kennen. Am nächsten Morgen hörte ich von einer Angestellten die traurige Geschichte des Mädchens, das von ihrem Freund umgebracht worden war, und von den anderen Morden, die zur gleichen Zeit in der Gegend verübt worden waren. Jetzt begriff ich allmählich, dass es irgendwo noch einen Mörder gab, und ich fragte mich, ob er nicht hier in dem Haus leben könnte, in das ich geschickt worden war. Clotilde, Lavinia, Anthea, drei Schwestern – drei Nornen? Clotilde war die auffallendste – eine große, schöne Frau, eine Persönlichkeit. Eine Frau, die zu starken Leidenschaften fähig war. Ich muss gestehen, dass ich in ihr gleich eine Klytämnestra sah. Der Typ, der den Plan, den eigenen Mann im Bad zu ermorden, auch in die Tat umsetzen konnte.«
    Professor Wanstead hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Der Ernst, mit dem Miss Marple alles erzählte, erheiterte ihn. Jetzt musste auch sie lächeln.
    »Ja, das klingt alles sehr komisch, nicht wahr? Aber tatsächlich konnte ich mir Clotilde in dieser Rolle vorstellen. Nur hatte sie unglücklicherweise nie einen Ehemann gehabt, und deswegen konnte sie ihn auch nicht gut umbringen.
    Dann überlegte ich, ob es Lavinia getan haben könnte. Sie machte einen sehr netten, normalen und angenehmen Eindruck. Aber wie viel Mörder gibt es, die auf ihre Umgebung ebenso wirken, sympathisch und normal, und doch sind gerade sie die allerschlimmsten, weil sie aus kühler Überlegung töten. Trotzdem hielt ich es nicht für sehr wahrscheinlich, wollte aber Mrs Glynne nicht ganz außer Acht lassen.
    Und dann die dritte Schwester, Anthea. Sie machte einen beunruhigenden Eindruck, ungeordnet, konfus, geistesabwesend und dabei sehr verängstigt. Sie schaute einen immer so merkwürdig an und blickte ab und zu ganz plötzlich hinter sich, als ob sie dort jemand vermutete. Sie hatte Angst vor etwas, das merkte man. Warum sollte sie nicht aus einer Art Verfolgungswahn heraus getötet haben? An diese Möglichkeit musste ich also auch denken.
    Am nächsten Tag ging ich dann mit Anthea hinaus in den Garten. Dort sah ich, am Ende eines Weges, einen merkwürdigen Erdwall. Es war, wie sich herausstellte, das einstige Gewächshaus, das man hatte verfallen lassen. Es war bedeckt von einem wuchernden Rankengewächs, Polygonum, das man immer dann anpflanzt, wenn man eine hässliche Stelle im Garten verdecken will. Es ist eine sehr schnell wachsende Pflanze, die alles andere Grüne überwuchert und erschreckend überhand nimmt. Aber sie hat sehr hübsche weiße Blüten und kann wirklich dekorativ aussehen. Anthea schien sehr unglücklich über den Zustand des Gewächshauses zu sein, das für sie als Kind die Hauptattraktion des Gartens gewesen war. Sie hatte nur den einen Wunsch, es wieder so aufbauen zu können, wie es früher gewesen war. Sie schien große Sehnsucht nach der Vergangenheit zu haben, aber zugleich merkte ich auch, dass sie Angst hatte. Und diese Angst, das spürte ich, hing mit dem Gewächshaus zusammen. Natürlich konnte ich damals noch nicht wissen,
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