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Das Schicksal in Person

Das Schicksal in Person

Titel: Das Schicksal in Person
Autoren: Agatha Christie
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dass dieser Pullover auffallen sollte und bestimmt nicht irgendwo in der Nähe oder gar unter den Kleidungsstücken des Täters versteckt werden würde. Der Pullover musste so schnell wie möglich verschwinden. Und da gibt es nur einen einzigen ganz sicheren Weg, die Post. Bei Kleidern ist es ja ganz einfach, die kann man an eine Wohlfahrtsorganisation schicken. Ich musste nur die Adresse herausbekommen.«
    »Und Sie fragten auf dem Postamt ganz offen danach?« Der Innenminister schaute sie leicht schockiert an.
    »Nein, natürlich nicht direkt. Ich tat, als ob ich ein bisschen zerstreut sei, und sagte, dass ich eine falsche Adresse auf ein Paket geschrieben hätte, das eine meiner Gastgeberinnen für mich zur Post brachte. Die Postbeamtin war sehr nett und bemühte sich, mir zu helfen, und so bekam ich heraus, an wen das Paket geschickt worden war. Sie hatte bestimmt keinen Verdacht, sondern hielt mich eben für eine etwas konfuse, umständliche alte Frau.«
    »Soso!«, sagte Professor Wanstead. »Sie sind nicht nur eine Rächerin, sondern auch noch eine gute Schauspielerin, Miss Marple. Wann fingen Sie an zu begreifen, was vor zehn Jahren geschehen war?«
    »Am Anfang war ich ziemlich verzweifelt«, sagte Miss Marple. »Insgeheim machte ich Mr Rafiel sogar Vorwürfe, weil er mich vollkommen im Unklaren gelassen hatte. Aber jetzt sehe ich ein, dass sein Vorgehen sehr klug war. Ich begreife jetzt auch, wieso er ein so genialer Finanzmann war. Er hat alles genau kalkuliert. Ich bekam nach und nach, in kleinen Dosen, meine Informationen. Er dirigierte mich genau auf meine Aufgabe zu. Zuerst sandte er meine Schutzengel aus, die feststellen sollten, wie ich aussah. Dann wurde ich auf diese Reise geschickt und kam mit ganz bestimmten Menschen in Berührung.«
    »Verdächtigten Sie zuerst jemand von der Reisegesellschaft?«
    »Ich zog einige Möglichkeiten in Erwägung.«
    »Kein Gefühl, dass etwas Böses in der Luft läge?«
    »Aha, das haben Sie sich gemerkt. Nein, damals noch nicht. Mir war auch nicht klar, mit wem ich auf der Reise zusammentreffen sollte – aber sie hat sich ja dann selbst mit mir bekannt gemacht.«
    »Elizabeth Temple?«
    »Ja, und durch sie bekam ich den ersten Hinweis. Das war wie ein Scheinwerfer in völliger Dunkelheit. Nun wurden mir die Dinge etwas klarer. Elizabeth Temple erzählte mir von einem jungen Mädchen, das mit Mr Rafiels Sohn verlobt gewesen sei. Sie erzählte mir auch, dass sie ihn nicht geheiratet habe. Als ich fragte, warum, sagte sie: ›Weil sie starb.‹ Dann fragte ich sie, woran sie gestorben sei, und sie antwortete nur mit einem einzigen Wort: ›Liebe‹. Ich werde nie vergessen, wie sie das sagte. Ihre Stimme klang anklagend, wie der Ton einer tiefen Glocke. Und dann meinte sie, dass ›Liebe‹ ein schreckliches Wort sein könne. Damals wusste ich natürlich noch nicht, wie sie das meinte. Ich dachte, das Mädchen habe vielleicht Selbstmord begangen. Sie erzählte mir auch, dass dies keine reine Vergnügungsreise für sie sei, sondern eine Art Pilgerfahrt. Erst später erfuhr ich, dass sie auf dem Weg zu einem bestimmten Menschen gewesen war.«
    »Erzdiakon Brabazon?«
    »Ja. Damals wusste ich aber noch nichts von seiner Existenz. Ich hatte nur das Gefühl, dass die Hauptpersonen – die Hauptakteure – nicht unter meinen Mitreisenden zu suchen seien. Allerdings hatte ich mir eine Weile Gedanken über Joanna Crawford und Emlyn Price gemacht.«
    »Warum gerade über sie?«
    »Weil sie jung sind«, sagte Miss Marple. »Weil die Jugend so oft mit Leidenschaft, Gewalttaten und tragischer Liebe in Verbindung steht. Ich merkte dann bald, dass ich auf der falschen Fährte war. Aber später konnte ich diese Idee noch mal auswerten. An dem Nachmittag, als ich mit den Schwestern und meinen späteren Schutzengeln im Old Manor House bei einem Glas Sherry zusammensaß, wies ich darauf hin, dass Emlyn und Joanna als Hauptverdächtige im Fall Elizabeth Temple in Frage kämen. Und wenn ich sie wiedersehe«, sagte Miss Marple förmlich, »muss ich mich bei ihnen entschuldigen, dass ich sie benützte, um von meinen wirklichen Gedanken abzulenken.«
    »Und das nächste Ereignis war dann der Tod von Elizabeth Temple?«
    »Nein, zuerst kam noch die Einladung ins Old Manor House. Mir war ja klar, dass auch das von Mr Rafiel arrangiert worden war, nur kannte ich den Grund natürlich nicht. Aber vielleicht«, fügte sie entschuldigend hinzu, »sollte ich mich viel kürzer fassen? Vielleicht
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