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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Silvia Kaffke
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Jungfrau mehr!», versuchte Lina es noch einmal vergeblich. Sie zogen ihr den mitgebrachten Mantel an. Er wärmte kaum, aber Lina war froh, dass sie sich wenigstens verhüllen konnte.
    «Los, es wird Zeit», sagte Jutta und schubste Lina hinaus in den Keller, in dem sich die Falltür befand.

    Der Versammlungsraum hatte sich bereits gut gefüllt. Seit Lina damals die Zeremonie beobachtet hatte, waren noch mehr Leute hinzugekommen, viele, die Lina kannte, nickten ihr zu, als Jutta Wienhold und Bertha Hartung sie durch die Menge schoben und sich schließlich seitlich des Altars mit ihr aufbauten. Zu ihrem Entsetzen bemerkte Lina ihre Schwester Mina gleich in der ersten Reihe.
    Wie damals begann die Zeremonie mit den Beschwörungen eines Robenträgers. Beim ersten Mal hatte Lina den Mann mit der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze nicht erkannt, doch jetzt sah sie, dass es damals wie heute Werner Wienhold war.
    Ihre Hände verkrampften sich vor Angst, und erst jetzt nahm sie auf schmerzhafte Weise wahr, dass sie die kleine, spitze Scherbe in der Hand trug. Sie hatte sie beim Aufschnüren des Korsetts auf die Kisten gelegt und sie gerade noch greifen können, als die Frauen sie in den Weinkeller zerrten.
    Jetzt hatte auch Mina sie in der Menge entdeckt und sah sie mit demselben Lächeln an, mit dem sie sie Reppenhagen ausgeliefert hatte. Und auch, wenn sie sich sagte, dass Mina unter seinem unheilvollen Einfluss stand, spürte sie doch, dass ihre Schwester und sie sich nie mehr so nah sein würden wie zuvor.

    Borghoff und seine zwanzig Männer hatten die Prozession zum Gewölbekeller abgewartet und waren dann, so leise sie konnten, den Leuten gefolgt. Das Ritual hatte begonnen, man konnte die Antworten der Gemeinde auf die Beschwörungen des Zeremonienmeisters hören. Die Gesichter einiger der Männer wurden blass ob der unheimlichen Laute. Kurz vor dem Gewölbe entdeckte Borghoff einen beleuchteten Raum, der voller Kleidungsstücke war – Männerjacken und Hemden, Frauenkleider, Unterröcke, ja selbst Kinderkleidchen waren hier zu finden. In einer Ecke lag ein kleiner ordentlicher Stapel mit dunkelblauen Tüchern. Als er das oberste nahm, merkte er, dass es sich um die Kapuzenmäntel handelte, mit denen er die Erwachsenen bei dem Geburtsritual gesehen hatte. «Los!», rief er. «Anziehen!» Er selbst warf sich einen Mantel um und zog die Kapuze über den Kopf. Seine Pickelhaube ließ er zurück.
    Die Verkleidung reichte nur für die Hälfte der Männer. «Alle, die einen Mantel haben, kommen mit hinein. Die anderen sichern die Ausgänge des Gewölbes.»
    Wenig später standen sie ganz hinten im Versammlungsraum, hatten aber den Altar wegen des erhöhten Podestes gut im Blick. Ein paar missbilligende Blicke wurden ihnen wegen ihrer Verspätung zugeworfen, aber niemand schien zu glauben, dass sie nicht hierhergehörten. Sie waren gerade noch rechtzeitig gekommen, um Reppenhagens Auftritt zu erleben.
    Borghoff hatte unter seinem Mantel den Revolver des Barons gezogen, den dieser ihm überlassen hatte. Ein Warnschuss aus diesem Revolver war das Zeichen für die Männer, einzudringen und die teuflische Gemeinde festzusetzen.
    Langsam bahnte er sich an der Wand entlang einen Weg, um näher an Reppenhagen und die Anführer heranzukommen. Schließlich blieb er seitlich vom Altar stehen, denn ein Raunen ging durch die Menge. Reppenhagen hatte sich gerade in die Priesterin verwandelt. Eine Frau reichte ihm ein zappelndes kleines Etwas, und für einen Moment glaubte Robert, dass Lina die Überbringerin sei, doch dann wurde ihm klar, dass es Mina war. Sie hatte der Priesterin ein Neugeborenes übergeben.
    Geschützt durch die Kapuze schweifte sein Blick über die Gemeinde, in jedem Gesicht sah er freudige Erwartung. Der Säugling, den die Priesterin hoch über ihrem Kopf hielt, begann zu schreien. Und dann entdeckte Robert Lina. Sie stand ihm direkt gegenüber an der anderen Seite des Altars. Ihr blauer Mantel glich eher den Roben der Ordensführer und war reich verziert, die dunkelroten Haare fielen offen bis auf die Taille hinab, und ihr Gesicht hatte trotz aller Angst, die sich darin spiegelte, etwas Verklärtes, fast überirdisch Schönes. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass man ihr Gesicht bemalt hatte.
    Während die Priesterin den Säugling auf den Altar legte, hatte Robert nur Augen für Lina. Und dann sah sie ihn direkt an. Augenblicklich zog er die Kapuze ein Stück aus dem Gesicht, für einen Moment nur, und
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