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Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Das rote Licht des Mondes: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Silvia Kaffke
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schnell genug gewesen, um ihm zu entkommen. Zitternd wich sie, die Scherbe immer noch in der Hand, vor ihm zurück, bis sie die Wand im Rücken spürte. Er hatte das Messer gehoben, es senkte sich, und Lina wunderte sich, dass es ihr so langsam vorkam. Sie riss den Arm hoch, um sich zu schützen, und dann hörte sie sein Röcheln. Er hatte das Messer fallen gelassen und stand mit weitaufgerissenen Augen vor ihr. Dann brach er zusammen. Hinter ihm kam ein hasserfülltes Gesicht zum Vorschein. Es war Anno. Oder war es Adrian?
    «Lass das Messer fallen. Er hat genug», sagte sie bestimmt zu dem Jungen.
    Als er sie ansah, schien er von weit her zu kommen. «Fräulein Kaufmeister, geht es Ihnen gut?»
    «Ja, Anno. Mir geht es gut. Wer war das eben?»
    «Er hat keinen Namen. Noch nicht. Aber er ist stark.»
    «Sag ihm vielen Dank.»
    Reppenhagen rührte sich. «Wir sollten ihn töten», sagte Anno.
    «Nein, ich glaube, die Verletzung ist schwer genug, das wird er nicht überleben.» Der Rücken von Reppenhagens dunklem Gewand sah ganz nass aus von dem Blut, das sich darauf ausgebreitet hatte.
    «Komm mit.»
    Sie folgte dem Jungen durch das Gewirr von Gängen und begriff erst spät, dass er sie zurück zu dem Gewölbe führte. Zunächst brachte er sie zu dem Raum, in dem Borghoff die Mäntel entdeckt hatte. Die meisten hatten ihre Kleidung hier zurückgelassen. «Da kannst du dir etwas anziehen», sagte er.
    Lina suchte sich einen Rock, eine warme Bluse und Jacke und auch einen Mantel aus. Sie verzichtete auf Unterröcke, um sich besser bewegen zu können, und schlug die Oberkante des Rockes ein paarmal um, damit sie nicht darüber stolperte.
    «Was wirst du nun tun?», fragte Lina Anno.
    «Ich würde gern auf einem Schiff fahren. Vielleicht auch auf einem großen, über das Meer. Die brauchen doch Schiffsjungen?»
    Lina sah ihn zweifelnd an. «Du bist ein Mädchen, Anno, fast dreizehn Jahre alt. Da wird man das bald sehen können.» Sie deutete auf ihren Busen.
    «Aber bis dahin bin ich sicher weit weg», sagte er trotzig.
    Lina nickte nur. Sie wusste auch keinen Ausweg.
    «Ich muss dir noch etwas zeigen.» Er nahm sie bei der Hand und führte sie in den kleinen Raum, von dem sie das Ritual im Juli beobachtet hatte. Er reichte ihr eine der Fackeln, die draußen die Gänge erleuchteten.
    In der Ecke des Raumes lag ein Kleiderbündel, wie zufällig hingeworfen. Er kniete sich hin, und da sah Lina, dass es sich bewegte. Es war der Säugling vom Altar.
    «In dem Tumult habe ich es weggebracht», sagte Anno und griff nach der kleinen Hand. «Du musst für es sorgen, versprich mir das.»
    Lina nickte. «Das werde ich.» Das kleine Mädchen begann zu weinen, und Lina nahm es hoch, um es zu beruhigen. Wegen des Jungen fürchtete sie, hier unten könnten immer noch Polizisten sein, aber alles war ruhig.
    «Lass uns hinausgehen», sagte sie, aber als sie sich umsah, war Anno verschwunden. Sie wickelte das Kind in ein paar Fetzen, nahm sich die Fackel und machte sich auf den Weg, um einen Ausgang zu finden.

    Commissar Borghoff ließ sich erschöpft auf seinen Stuhl im Dienstraum fallen. Eine kurze Atempause nur, sagte er sich. Denn Lina wurde immer noch vermisst, und auch von Reppenhagen gab es keine Spur.
    Manches Sektenmitglied war der Hatz entkommen, Borghoff vermutete, dass es unter vielen Häusern Einstiege in das Gangsystem gab. Und obwohl das Haus der Wienholds überwacht worden war und Hinnerk Dehnen niemanden herausgelassen hatte, waren die Wienholds und die von Müllers nicht unter denen, die sie schließlich in einem ungenutzten Lagerhaus der Haniels untergebracht hatten.
    Von Anfang an waren sich alle einig gewesen, dass man so viele Menschen nicht einsperren, ja nicht einmal anklagen konnte. Die meisten von ihnen waren an den Verbrechen nicht beteiligt gewesen und hatten sich von den Versprechungen des Ordens hinreißen lassen. Denen, die mit den Wienholds nach Ruhrort gekommen waren, wurde nahegelegt, die Stadt wieder zu verlassen.
    Die Ruhrorter, die sich ihnen angeschlossen hatten, wurden vor die Wahl gestellt, wegzuziehen oder zu bereuen und zu bleiben. Für die Reue waren die beiden Pfarrer zuständig, die über ihre jeweiligen Schäfchen donnernde Strafpredigten niedergehen ließen.
    Aber Lina, ihre Schwester Mina und Reppenhagen hatte niemand mehr gesehen, seit er mit Lina irgendwo in den Schmuggelgängen verschwunden war.
    Wienhold, von Müller, ihren Familien und Dienern war die Flucht gelungen. Der Fährmann
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