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Das Rote Kornfeld

Das Rote Kornfeld

Titel: Das Rote Kornfeld
Autoren: Mo Yan
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Rachedurst nicht, sondern verursachte ihm so viel Pein, als durchbohre ein Rasiermesser sein Herz.
    Dies sollte für das Jiao-Gao-Regiment das heftigste Gefecht seit seiner Gründung werden, und es endete mit dem vollkommensten und großartigsten Sieg in der ganzen Region Binhai. Das Sonderkomitee für die Region Binhai sprach dem gesamten Regiment per Tagesbefehl sein Lob aus. Das Jiao-Gao-Regiment in seinen Hundepelzen wurde von wilder Freude ergriffen, aber wenig später ereigneten sich zwei Vorfälle, die den Soldaten großen Kummer bereiteten. Zunächst wurde der große Vorrat an Waffen und Munition, der ihnen in der Schlacht am Weiler der Familie Ma in die Hände gefallen war, dem unabhängigen Bataillon Binhai zugeteilt. Kommandant Jiang wusste, dass die Entscheidung des Sonderkomitees richtig war, aber seine Soldaten beschwerten sich grollend. Als die Soldaten des Bataillons kamen, um bei den pelzgekleideten Jiao-Gao-Truppen die Waffen abzuholen, schämten sie sich offensichtlich. Dann fand man Cheng Mazi, der sich in der Schlacht um den Weiler der Familie Ma so bewährt hatte. Er hing an einem Baum am Dorfeingang. Alles sprach für Selbstmord. Von hinten sah er aus wie ein Hund, doch von vorne wie ein Mensch.
     
     
9
     
    Nachdem Großmutter sie mit heißem Wasser gewaschen hatte, hörte Zweite Großmutter auf zu schreien. Den ganzen Tag verklärte ein zartes Lächeln ihr zernarbtes, zerschlagenes Gesicht, aber unten floss weiter Blut. Großvater holte alle Ärzte der Umgebung, und sie bekam Heiltränke aller Art, die zusammen Linderung brachten. In diesen Tagen füllte Blutgestank Großmutters Zimmer, und es schien, als könne der Körper der Zweiten Großmutter keinen Tropfen Blut mehr enthalten. Ihre Ohrläppchen waren ganz durchsichtig.
    Den letzten Arzt brachte Onkel Luohan aus der Stadt Pingdu, einen Mann in den Achtzigern mit silbergrauem Bart, breiter fleischiger Stirn und langen gebogenen Fingernägeln. An seinen Jackenknöpfen hingen ein Kamm aus Horn, ein silberner Ohrlöffel und ein Zahnstocher aus Elfenbein. Großvater sah zu, wie er Zweite Großmutter mit dem Finger den Puls fühlte. Dann legte er ihre linke Hand über die rechte und sagte: «Bereitet die Beerdigung vor. »»
    Großmutter und Großvater begleiteten den alten Arzt zur Haustür. Sie fühlten sich elend. Großmutter blieb auf, um Begräbniskleidung zu nähen, und Großvater schickte Onkel Luohan zum Schreiner, um einen Sarg auszusuchen.
    Am nächsten Tag zog Großmutter gemeinsam mit den Frauen der Nachbarschaft der Zweiten Großmutter die neuen Kleider an. Zweite Großmutter, die in einer roten Seidenjacke, blauen Samthosen, einem grünen Seidenrock und bestickten Pantoffeln aus rotem Samt still und starr auf dem Bett lag, zeigte weder Unruhe noch Ärger. Gegen Mittag entdeckte Vater eine tuschschwarze Katze, die auf dem Dachfirst auf und ab ging und Schreie ausstieß, dass ihm das Blut gerinnen wollte. Er hob eine Ziegelscherbe auf und warf sie nach der schwarzen Katze. Die wich dem Geschoß aus, landete auf den Dachziegeln und spazierte davon.
    Als es Zeit war, die Lampen anzuzünden, brachten die Brennereiarbeiter einen Sarg und stellten ihn im Hof ab. Im Zimmer zündete Großmutter eine Öllampe mit drei Dochten an. Der Rauch, der zur Decke aufstieg, roch nach Hammelbraten. Die ganze Familie stand an dem Bett, auf dem Zweite Großmutter lag. Vater versteckte sich hinter der Tür und starrte auf ihre blutleeren Ohrläppchen, die im Lampenschein wie Bernstein aussahen. Sie waren von einem Geheimnis umgeben, das in strahlenden Farben in seinem Herzen tanzte. Er spürte, dass die tuschschwarze Katze wieder mit funkelnden Augen auf dem Dach stand und mit obszönen Schreien den Schleier der Finsternis zerriss. Seine Kopfhaut brannte, und die Haare standen ihm zu Berge wie die Stacheln eines Igels.
    Plötzlich öffnete Zweite Großmutter die Augen. Die Augäpfel waren starr und unbeweglich, aber die Lider zuckten wie ein starker Regenschauer. Ihre Backen verkrampften sich, die üppigen Lippen zitterten einmal, zweimal, dreimal ... Dann stieß sie einen Schrei aus, der grässlicher war als das Geheul einer läufigen Katze. Vater sah das goldene Licht der Öllampe grün wie Frühlingszwiebeln werden, und im flackernden Lampenschein nahm das Gesicht meiner Zweiten Großmutter einen Ausdruck an, der nichts Menschliches mehr an sich hatte.
    Großmutter war freudig erregt, als sie sah, dass sich Zweite Großmutter erholt hatte, aber
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