Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Reigate-Rätsel

Das Reigate-Rätsel

Titel: Das Reigate-Rätsel
Autoren: Sir Arthur Conan Doyle
Vom Netzwerk:
schnell ich konnte, durcheilte. Der Wagen stand neben dem Bürgersteig, und ein massiger Kutscher, der in einen gewaltigen Umhang gehüllt war, schien mich zu erwarten. In dem Augenblick, wo ich eingestiegen war, schlug er auf die Pferde ein. So gelangte ich auf schnellstem Wege zum Bahnhof Victoria. Als ich ausgestiegen war, drehte er den Wagen und sauste in umgekehrter Richtung davon, ohne sich auch nur einmal umzusehen.
    Soweit war alles wunderbar gelaufen. Mein Gepäck erwartete mich, und ich hatte keinerlei Schwierigkeiten, die Wagen zu finden, die Sherlock Holmes mir angewiesen hatte. Das war auch leicht, denn ein großes >Reserviert<-Schild hing daran. Mein einziger Kummer war, daß Sherlock Holmes noch nicht erschienen war. Nach der Bahnhofsuhr waren es noch sieben Minuten bis zur Abfahrt des Zuges. Umsonst suchten meine Augen die Gruppen der Reisenden ab. Nirgends konnte ich die hohe, schlanke Gestalt meines Freundes entdecken. Keine Spur von ihm. Ein alter, ehrwürdiger italienischer Priester versuchte in gebrochenem Englisch dem Gepäckträger klarzumachen, daß sein Koffer nach Paris aufgegeben sei. Ich eilte dem Mann zur Hilfe, so waren ein paar Minuten vergangen. Noch einmal suchten meine Augen den Bahnsteig ab, dann ging ich ins Abteil. Hier hatte mir der Beamte, trotz des Hinweises auf die Reservierung, den alten Priester ins Abteil gesetzt. Es war nutzlos, ihm beibringen zu wollen, daß dies Abteil reserviert war, denn mein Italienisch war noch schlechter als sein Englisch. So zuckte ich resigniert mit den Schultern und schaute noch einmal sorgenvoll nach meinem Freund aus. Ich fühlte mich unglücklich und sehr bedrückt, denn ich dachte daran, daß ihm ja auch während der Nacht etwas hätte passieren können. Schon wurden die Türen geschlossen und der Zug abgepfiffen. Und plötzlich sagte eine Stimme neben mir:
    »Also, mein lieber Watson, Sie haben mir noch nicht einmal >Guten Morgen< gewünscht.«
    In unsagbarem Staunen fuhr ich herum. Der alte Geistliche sah mich an. Für einen Augenblick glätteten sich die Falten, der Abstand zwischen Kinn und Nase vergrößerte sich, die untere Lippe schob sich nicht mehr vor, und die trüben Augen bekamen wieder Feuer. Die gebeugte Gestalt richtete sich auf. Im nächsten Augenblick sank die Gestalt wieder in sich zusammen. Sherlock Holmes war so schnell verschwunden, wie er gekommen war. »Mein Gott, Sie haben mich aber erschreckt!« rief ich.
    »Es ist immer noch nötig, vorsichtig zu sein!« flüsterte er. »Ich habe allen Grund dafür, denn sie sind mir auf der Spur. Ah, sehen Sie mal, da ist Moriarty selber.«
    Bei diesen Worten hatte sich der Zug schon in Bewegung gesetzt. Ich sah vorsichtig zurück und entdeckte einen langen Menschen, der sich wie wild seinen Weg durch die Menge bahnte. Er winkte mit den Armen, als wollte er den Zug zum Anhalten zwingen. Aber es war zu spät. Der Zug erhöhte sein Tempo mit jedem Augenblick, und gleich darauf schossen wir aus dem Bahnhof.
    »Mit all unserer Vorsicht haben wir es gerade so eben und eben geschafft«, sagte Holmes lachend. Er stand auf und legte den schwarzen Habit und den riesigen Hut ab, die seine Verkleidung gebildet hatten, und verstaute beides in seinem Handgepäck.
    »Haben Sie die Morgenzeitungen gelesen, Watson?«
    »Nein.«
    »Dann wissen Sie die Neuigkeit über die Baker Street noch nicht?«
    »Baker Street?«
    »Sie haben versucht, unsere Wohnung auszubrennen. Aber es ist nicht viel passiert.«
    »Guter Gott, Holmes, das ist ja mehr, als ein Mensch ertragen kann. «
    »Nachdem der Mann mit dem Schlagstock festgenommen worden war, müssen sie meine Spur völlig verloren haben, sonst hätten sie gewußt, daß ich nicht in meine Wohnung zurückgekehrt bin. Aber man hat Sie überwacht, und das hat Moriarty zum Bahnhof Victoria gebracht. Sie haben doch alle meine Anweisungen richtig ausgeführt?«
    »Ich habe mich genau an alle Verabredungen gehalten.«
    »Haben Sie die kleine Kutsche gefunden?«
    »Ja, der Kutscher schien auf mich zu warten.«
    »Haben Sie den Kutscher erkannt?«
    »Nein.«
    »Es war mein Bruder Mycroft. Es ist schon einmal recht günstig, wenn man hin und wieder auf verwandtschaftliche Hilfe zurückgreifen kann und nicht auf die Gnade öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen ist. Aber jetzt müssen wir uns erst einmal überlegen, was wir Moriartys wegen unternehmen.«
    »Dieser Zug ist ein Eilzug und hat außerdem Anschluß an das Schiff. Wir sollten ihn leicht abschütteln.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher