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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel
Autoren: John Katzenbach
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werden Sie, Professor. Das werden Sie. Es würde Ihre Willenskraft übersteigen, mir diese Tasche zurückzuschieben, ohne nachzusehen, was drin ist. Nein, das machen Sie nicht. Ihre Neugier ist längst geweckt, und sei es auch nur ein
akademisches
Interesse. Sie sitzen mir gegenüber und fragen sich, was mich wohl dazu bewogen hat, die heile Welt, in der ich lebe, zu verlassen und hier rauszukommen, wo so ziemlich alles passieren kann, nicht wahr?«
    »Es interessiert mich nicht die Bohne, wozu Sie gekommen sind. Und ich werde Ihnen nicht helfen.«
    Der Agent schwieg, und es sah nicht so aus, als dächte er über die Weigerung des Professors nach, sondern über eine andere Überzeugungsstrategie. »Sie haben mal Literatur studiert, wenn ich recht informiert bin?«
    »Sie scheinen überaus gut informiert zu sein. Ja.«
    »Langstreckenläufer und obskure Bücher. Sehr romantisch. Aber auch ziemlich einsam, oder?«
    Clayton starrte den Agenten schweigend an.
    »Professor und Einsiedler in einer Person, nicht wahr? Was mich betrifft, so hab ich schon immer mehr für Sport übriggehabt. Ich war in der Hockeymannschaft. Ich ziehe es vor, mein Gewaltpotenzial zu kanalisieren, es in geordnete, gesellschaftlich akzeptierte Bahnen zu lenken. Wie auch immer, erinnern Sie sich an die Szene am Anfang des großen Romans von Monsieur Camus,
La Peste?
Delikater Moment im Glutofen der nordafrikanischen Stadt, als der Arzt, der für die Gesellschaft immer nur Gutes getan hat, sich auf einmal umschaut und sieht, dass Ratten aus dem Schatten taumeln, um in der sengenden Hitze und dem gleißenden Licht zu sterben. Und der Mann erkennt, nicht wahr, Professor, dass etwas Schreckliches bevorsteht. Denn es ist ein unerhörter Vorgang, dass eine Ratte zum Sterben aus der Gosse und Kloake und dem Dunkel herausgekrochen kommt. Erinnern Sie sich an diese Szene, Professor?«
    »Ja«, erwiderte Clayton. Als Student hatte er in einem Seminar über apokalyptische Literatur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts für seine Argumentation in der Abschlussklausur genau dieses Bild verwendet. Er wusste augenblicklich, dass der Agent, der vor ihm saß, diese Arbeit gelesen hatte, und ihn überkam dieselbe Panik wie in dem Moment, als er das rote Licht hatte aufleuchten sehen.
    »Diese Situation ist irgendwie dieselbe, nicht wahr? Sie wissen, dass etwas Schreckliches zu Ihren Füßen liegen muss, denn weshalb sonst sollte ich meine eigene persönliche Sicherheit aufgeben, um zu Ihnen in den Hörsaal zu kommen, wo eines Tages nicht einmal mehr diese halbautomatische Pistole Ihnen angemessenen Schutz bieten kann?«
    »Sie klingen nicht wie ein Polizist, Agent Martin.«
    »Bin ich aber, Professor. Ein Polizist für unsere Zeit und unsere Verhältnisse.« Er deutete mit einer vagen Geste auf das Alarmsystem des Hörsaals. In den Ecken unter der Decke waren altmodische Videokameras installiert. »Die funktionierennicht, oder? Sind offenbar mindestens zehn Jahre alt. Vielleicht auch älter.«
    »Beides richtig.«
    »Aber man lässt sie absichtlich da hängen, nicht wahr? Immerhin könnten sie bei jemandem einen Hauch von Bedenken auslösen, richtig?«
    »Das ist vermutlich die Logik dahinter.«
    »Ich finde das interessant«, meinte Martin. »Wer zweifelt, zögert vielleicht. Das würde Ihnen die Zeit verschaffen, die Sie brauchen, um … ja, was? Zu fliehen? Ihre Waffe zu ziehen und sich zu verteidigen?«
    Clayton spielte mehrere Reaktionen gedanklich durch, verwarf sie aber alle. Stattdessen starrte er auf die Mappe am Boden. »Ich habe den Behörden schon bei mehreren Gelegenheiten geholfen. Es war immer eine ziemlich undankbare Sache.«
    Der Agent unterdrückte ein leises Lachen. »Für Sie vielleicht. Die Polizei ihrerseits war Ihnen überaus dankbar. Sie werden wärmstens empfohlen. Sagen Sie, Professor, ist die Wunde an Ihrem Bein gut verheilt?«
    Clayton nickte. »Das wissen Sie zweifellos selbst«, erwiderte er.
    »Der Mann, der Sie Ihnen beigebracht hat – was ist aus dem geworden?«
    »Ich vermute, die Antwort kennen Sie genauso gut wie ich.«
    »Ja, in der Tat. Er sitzt im Todestrakt in Texas, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Alle Berufungsverfahren ausgeschöpft, richtig?«
    »Ich denke ja.«
    »Dann sollte er jeden Moment die Todesspritze bekommen, meinen Sie nicht?«
    »Nein, das meine ich nicht.«
    »Werden Sie eingeladen, Professor? Ich finde, bei der Soiree müssten Sie als Ehrengast zugegen sein. Ohne Ihre Arbeit hätte man ihn nicht geschnappt, ist
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