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Das Rätsel

Titel: Das Rätsel
Autoren: John Katzenbach
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war ihr heilig; das verlangte nicht nur ihr Beruf, sondern auch ihr Leben. Sie sah sich den Wortlaut der Nachricht an. Auch wenn sie mit einiger Sicherheit sagen konnte, dass sich kein Zahlencodedahinter verbarg, stellte sie rasch ein paar Rechnungen an, verknüpfte die Buchstaben mit ihrem Stellenwert im Alphabet, addierte und subtrahierte, ging Variationen durch, um zu sehen, ob die Notiz einen Sinn ergab. Das Ganze erwies sich als fruchtlos. Egal, was sie versuchte, es kam nur Kauderwelsch heraus.
    Sie fuhr den Computer hoch und schob eine Diskette mit berühmten Zitaten ein, ohne jedoch etwas auch nur annähernd Ähnliches zu finden.
    Sie brauchte ein Glas Wasser und stand auf, um in die kleine Küche zu gehen. Neben dem Spülstein trocknete ein sauberes Glas. Sie füllte es mit Eis und Leitungswasser, das einen salzigen Beigeschmack hatte. Sie rümpfte die Nase und sagte sich, dass dies zu den kleinen Unannehmlichkeiten gehörte, die man in Kauf nehmen musste, um in den Upper Keys zu wohnen. Der größere Nachteil bestand darin, dass man isoliert und einsam lebte. Sie blieb im Türrahmen stehen, starrte auf das Blatt Papier am anderen Ende des Zimmers und fragte sich, wieso sie diesem kleinen Zettel erlaubte, ihr den Schlaf zu rauben. Sie hörte, wie ihre Mutter stöhnte und sich im Bett herumwälzte, und wusste schon, bevor sie rief: »Susan? Bist du da?«, dass sie aufgewacht war.
    »Ja, komme schon«, antwortete sie.
    Sie eilte ins Schlafzimmer ihrer Mutter. Früher war es bunt gewesen; ihre Mutter hatte gern gemalt und über die Jahre hinweg viele ihrer Bilder an den Wänden aufgehängt. Gemälde und exotische, fließende Kleider sowie Tücher, die wahllos über der Staffelei und anderen Gegenständen ausgebreitet waren – das hatte dem Zimmer Farbe gegeben. Jetzt war alles Tabletts mit Medikamenten und einem Sauerstoffgerät gewichen – in Schränke verbannt, um den Zeichen der Gebrechlichkeit zu weichen.
    Das Zimmer, fand Susan, roch nicht einmal mehr nach ihrer Mutter, sondern einfach nur antiseptisch. Hygienisch rein. Ein sauberer, weiß getünchter, desinfizierter Ort zum Sterben.
    »Schmerzen?«, fragte die Tochter. Es war immer dieselbe Frage, und sie kannte die Antwort und wusste, dass sie nicht der Wahrheit entsprach.
    Ihre Mutter setzte sich mühsam auf. »Nur ein bisschen. Nicht schlimm.«
    »Willst du eine Tablette?«
    »Nein, das wird schon. Ich habe gerade an deinen Bruder gedacht.«
    »Soll ich ihn für dich anrufen?«
    »Nein, dann macht er sich nur Sorgen. Er ist bestimmt viel zu eingespannt und braucht seine Ruhe.«
    »Das glaube ich nicht. Ich denke, er würde gern mit dir reden.«
    »Na ja, morgen vielleicht. Ich habe von ihm geträumt. Von dir auch, Schatz. Ich habe von meinen Kindern geträumt. Lassen wir ihn schlafen. Wieso bist du noch auf?«
    »Ich habe noch gearbeitet.«
    »Hast du die nächsten Rätsel entworfen? Was ist es diesmal? Zitate? Anagramme? Welche Stichworte willst du geben?
    »Nein, keins von meinen eigenen. Ich hab über etwas gebrütet, das mir jemand geschickt hat.«
    »Du hast so viele Fans.«
    »Die lieben nicht mich, Mutter. Es sind die Rätsel.«
    »Das ist egal. Du solltest ruhig mehr Ruhm einstreichen. Du solltest dich nicht verstecken müssen.«
    »Es gibt jede Menge Gründe, ein Pseudonym zu benutzen, Mutter. Das weißt du doch am besten.«
    Die ältere Frau lehnte sich zurück. Sie war nicht wirklich alt,sondern nur von der Krankheit gezeichnet. Ihre Haut war erschlafft und bildete Falten an ihrem Hals, ihr Haar breitete sich zerzaust über das Kissen aus. Es war immer noch kastanienbraun; ihre Tochter half ihr dabei, es einmal pro Woche zu tönen – ein Ritual, auf das sie sich beide freuten. Viel Eitelkeit war der Älteren nicht geblieben; das meiste war dem Krebs zum Opfer gefallen. Doch das Tönen ihrer Haare gab sie nicht auf, und ihre Tochter war darüber froh.
    »Mir gefällt der Name, den du dir ausgesucht hast. Er ist sexy.«
    Die Tochter lachte. »Bedeutend mehr als ich.«
    »Mata Hari. Die Spionin.«
    »Sicher, aber nicht die beste, wie du weißt. Man hat sie erwischt und erschossen.«
    Ihre Mutter gluckste, und die Tochter lächelte bei dem Gedanken, dass die Krankheit sich vielleicht nicht ganz so schnell ausbreiten würde, wenn sie ihre Mutter nur öfter zum Lachen brachte.
    Die Ältere wendete den Blick nach oben, als entdeckte sie an der Zimmerdecke eine Erinnerung.
    »Ich kenne eine Geschichte«, erzählte sie lebhaft. »Ich habe sie in
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