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Das Programm

Titel: Das Programm
Autoren: Michael Ridpath
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nehmen.
    Lenka lächelte liebreizend. »Oh, ja, das wird sicher schön sein.«
     
    Der Tag verging damit, dass man ihnen erläuterte, wie viel Arbeit sie erwartete, und dass man sie ihnen anschließend aufgab. Gegen fünf verließen die sechzig Trainees den Hörsaal; benommen umklammerten sie die Aufgaben, die sie im Laufe der kommenden Woche zu erledigen hatten. Abby Hollis versorgte jeden Teilnehmer mit drei umfangreichen Büchern über Anleihenrechnung, Volkswirtschaft und Kapitalmärkte. Dazu bekamen sie Stoffbeutel, auf denen der Name von Bloomfield Weiss in kleinen, diskreten Buchstaben stand. Die Unterlagen gingen nicht in die eleganten Aktenköfferchen, die sich die meisten Trainees in den ersten Monaten ihrer Berufstätigkeit zugelegt hatten.
    »Himmel!«, sagte Duncan, der ziemlich angeschlagen aussah. »Ich brauch ein Bier.«
    Das schien Chris und Ian unter den gegebenen Umständen eine hervorragende Idee zu sein. Freundlich, wie es seine Art war, wandte sich Duncan an einen korpulenten Trainee mit langer, spitzer Nase, der die Unterlagen gerade sorgfältig in seiner Stofftasche verstaute. Rudy Moss war sein Name. »Hast du Lust mitzukommen?«
    Rudy warf einen vielsagenden Blick auf die prall gefüllte Tasche und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht«, sagte er und trollte sich.
    »Was dagegen, wenn ich mitkomme?«, fragte eine Stimme hinter Duncan. Es war Eric Astle, der Amerikaner, der neben Chris saß und mit dem er im Laufe des Nachmittags ein paar ungläubige Blicke gewechselt hatte. In seiner Begleitung befand sich ein kleiner, dunkelhaariger Mann mit einem Dreitagebart. Eric stellte ihn als Alex Lubron vor.
    »Natürlich nicht«, sagte Duncan, »kennt ihr hier irgendeine vernünftige Kneipe?«
    »Jerry’s«, sagte Alex. »Kommt, wir zeigen sie euch.« Damit führte er den kleinen Trupp zum Fahrstuhl.
    Auf dem Weg dorthin kamen sie an Lenka vorbei, die groß und allein inmitten der schnatternden Trainees stand. Um sie herum brach das Geplauder ab, als scheuten sich die anderen, sie in ihre Gespräche zu ziehen.
    Duncan zögerte. »Bock auf ein Schlubberchen?«, fragte er, seinen schottischen Akzent übertreibend.
    »Bitte?«
    »Hast du Lust, ein Glas mit uns zu trinken?«, übersetzte er mit freundlichem Lächeln.
    Lenka gab es zurück. »Warum nicht?«, sagte sie und nahm ihre Sachen. »Gehen wir.«
     
    »Himmel, glaubt ihr die Geschichte mit dem letzten Viertel?«, fragte Duncan die Gruppe, die beengt an einem kleinen Tisch saß, während eine Kellnerin Gläser mit kaltem Bier verteilte. Jerry’s war eine Kellerbar, gleich um die Ecke bei Bloomfield Weiss. Sie war zum Bersten voll mit gut genährten Börsianern, die noch einmal die Erfolge des Tages aufleben ließen. »Das kann doch nicht ihr Ernst sein, oder?«
    »Warum nicht?«, sagte Chris.
    »Aber wir haben wie blöde geschuftet, um so weit zu kommen, da wäre es doch eine Riesensauerei, wenn sie uns jetzt rausschmeißen«, sagte Duncan.
    »Völlig richtig. Das tun sie nicht. Mach dir keine Sorgen«, sagte Ian und zündete sich eine Zigarette an. »Das ganze Ding mit dem unteren Viertel dient nur dazu, Leute loszuwerden, die sie nicht mögen. Das betrifft uns nicht.«
    »Dich vielleicht nicht. Bei mir bin ich da nicht so sicher.«
    Ian zuckte mit den Achseln, als wollte er zum Ausdruck bringen, dass Duncan Recht haben könnte, dass es ihn aber nicht allzu sehr interessierte. Ian war brillant und selbstsicher, ein kapitaler Hirsch für die Headhunter, die Jagd auf Universitätsabsolventen machten. Er war dunkel, schlank und sah unverschämt gut aus. Seine Anzüge waren viel teurer als die der beiden anderen, seine Hemden hatten Manschettenknöpfe, und seine Krawatten schienen gegen Flecken gefeit zu sein. Im Unterschied zu Duncan hing sein Hemd nie aus der Hose. Von allen dreien kam er in Aussehen und Auftreten dem Idealbild des Investmentbankers am nächsten. Nur ein Detail fiel aus dem Rahmen: seine abgekauten Fingernägel.
    »Kann ich eine haben?«, fragte Lenka und zeigte auf Ians Zigarettenschachtel.
    »Oh, tut mir Leid. Natürlich.« Ian hielt ihr eine hin, und sie zündete sie mit offenkundigem Behagen an. »Noch jemand?«
    Auch Alex steckte sich eine an.
    »Euer Land ist barbarisch, nirgends lasst ihr die Leute rauchen«, sagte Lenka. »Ich weiß nicht, wie ich den Tag überstehen soll.«
    In den Büros des Ausbildungsprogramms herrschte Rauchverbot. Noch war das Laster bei Bloomfield Weiss allerdings nicht völlig ausgerottet.
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