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Das Programm

Titel: Das Programm
Autoren: Michael Ridpath
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waren, und hielt vor dem Hotel Paris. Chris zahlte das Taxi und checkte ein. Er rief auf Lenkas Zimmer an. Sie sei in zehn Minuten in der Hotelhalle, sagte sie. Er brauchte nicht einmal so lange, um seinen Koffer fallen zu lassen, in die Jeans zu steigen und wieder runterzugehen.
    Lenka ließ natürlich auf sich warten. Die Hotelhalle war gesättigt mit Dekorelementen der vorletzten Jahrhundertwende: verzierte Kronleuchter und Fahrstuhltüren aus Messing, ein Marmorakt, der an Rodin erinnerte, und Jugendstilplakate, die alles anpriesen, von tschechischer Schokolade bis zu französischen Theaterstücken. Lenka stieg immer im Hotel Paris ab. Es sei eines der wenigen Hotels in der Stadt, die noch Stil hätten, sagte sie. Sie war nur dreißig Kilometer von Prag aufgewachsen und hatte in der Hauptstadt studiert. Sie liebte die Stadt. Chris war nicht im mindesten überrascht, dass sie dort ein Büro eröffnen wollte.
    Und er hatte auch nicht die Absicht, sie daran zu hindern. Zwar waren sie rechtlich gesehen gleichberechtigte Teilhaber des Carpathian Fund Management, doch der Fonds war ihre Idee gewesen, und er hielt es noch immer für einen unglaublichen Glücksfall, dass sie ihn gebeten hatte, sich zu beteiligen. Vor zehn Jahren hatten sie sich kennen gelernt, als eifrige Teilnehmer an einem Trainee-Programm von Bloomfield, einer großen New Yorker Investmentbank. Sie hatten sich angefreundet und weiter Kontakt gehalten, als sie schon getrennte Wege gingen: er zum Londoner Büro von Bloomfield Weiss und sie zu ihrer Emerging-Markets-Gruppe in New York. Als er dann in seiner Wohnung hockte und die letzten Nachwehen einer Magen-Darm-Erkrankung auskurierte, die er sich in Indien geholt hatte, fristlos gekündigt, von seiner Freundin verlassen, sein Selbstvertrauen in Schutt und Asche – da hatte sie ihn angerufen. Sie verlasse Bloomfield Weiss, um einen eigenen Fonds zu gründen. Ob er Lust habe mitzumachen?
    Sie hatte ihn gerettet. Natürlich hatte er ihr Angebot zunächst abgelehnt und erklärt, er sei die falsche Wahl, er würde eher ein Klotz am Bein als eine Hilfe sein. Er war ehrlich davon überzeugt, sie keineswegs. Mit ihrer Hilfe fügte er die Scherben seiner Selbstachtung wieder zusammen. Wie sich herausstellte, hatte sie Recht: Sie waren ein gutes Team.
    Carpathian war ein Hedge-Fonds, der in Staatsanleihen und hochverzinsliche Rentenpapiere aus Mitteleuropa investierte. So jedenfalls las es sich in ihren Marketing-Broschüren. In Wirklichkeit bedeutete »Hedge-Fonds«, dass ihr Fonds äußerst spekulativ und riskant ausgerichtet war, und »hochverzinslich«, dass es sich um Hochprozenter oder »Junk-Bonds« handelte, während mit Mitteleuropa die Länder hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang gemeint waren – ohne die hoffnungslosen Fälle wie Russland. Allerdings wussten die Investoren, was sie taten. Sie wollten an der Integration der alten Ostblockländer mit dem Rest Europas so viel Geld wie möglich verdienen. Von Lenka und Chris erwarteten sie, dass sie große Risiken eingingen und viel Kohle machten, oder genauer, viele Euros. Mit ein bisschen Hilfe von Chris hatte Lenka fünfundfünfzig Millionen Euro aufgetrieben und sich noch einiges dazu geliehen, um die Rendite zu maximieren.
    Bisher war alles gut gegangen. In den ersten Monaten hatten sie eine Rendite von neunundzwanzig Prozent erzielt: Allein im Januar waren es sechs Prozent gewesen. Chris war lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass sie ihren Erfolg bis zu einem gewissen Grade dem Glück verdankten. Aber er kannte sich auf dem Rentenmarkt aus und hatte Erfahrung mit Hochprozentern. Sie hatte die Visionen, er den praktischen Sinn. Sie machte den Investoren den Mund wässrig, er sorgte dafür, dass sie rechtzeitig seriöse Berichte erhielten. Sie hatte die Büroräume für eine Spottmiete am Hanover Square entdeckt, er hatte den Mietvertrag ausgehandelt. Und jetzt hatte sie ein Büro in Prag gefunden, der erste Schritt, der sie zu einer wirklich europäischen Fondsverwaltungsgesellschaft machen würde.
    Doch aus eigener, schmerzlicher Erfahrung wusste Chris, dass sich auf den Rentenmärkten die Dinge im Handumdrehen ändern können. Während des Winterurlaubs hatte er sich zum ersten Mal seit über einem Jahr ein paar Tage lang keine Sorgen um Carpathian gemacht. Jetzt sorgte er sich wieder.
    Ollie, ihr junger Analyst, würde sich um den Computer kümmern. Er und Tina, die noch jüngere Rezeptionistin und künftige Assistentin, würden schon
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