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Das peinlichste Jahr meines Lebens

Das peinlichste Jahr meines Lebens

Titel: Das peinlichste Jahr meines Lebens
Autoren: Mark Lowery
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Galerie und schaute mir zu; eine langweilige Bahn nach der anderen; eine peinliche Trainingsstunde nach der anderen. Ich habe keine Ahnung, warum sie das tat, denn anderen Leuten beim Schwimmtraining zuzuschauen, ist wahrscheinlich das Langweiligste auf der Welt. Dennoch hat sie sich jede einzelne Trainingsstunde angesehen, an der ich je teilgenommen habe. Außer samstags.
    Ich werde schon bald erklären müssen, warum sie samstags nicht mitkam. Das ist ziemlich unerfreulich.
    Jedenfalls
bin
ich Mitglied eines Schwimmvereins.
    Oder
war
es bevor das Ganze passiert ist. Aber ich bin ziemlich gut.
    Das heißt, je nachdem, womit man mich vergleicht.
    Ich kann besser schwimmen als eine Schnecke, doch bei weitem nicht so gut wie ein Seelöwe.
    Um ehrlich zu sein, nach menschlichen Maßstäben bin ich eine ziemliche Niete.
    Doch es gab einen Grund, warum ich mir die Schwimmerei trotz meiner fehlenden Schnelligkeit, Technik und Begeisterung antat. Einen hervorragenden, talentierten Grund. Einen Grund, der durchs Wasser glitt wie ein Delfin. Einen Grund, der wie ein über ein Korallenriff tanzender Sonnenstrahl funkelte.
    Lucy King.
    Die entzückende Lucy King.
    Lucy King, die Schwimmlandesmeisterin und Rekordhalterin ihrer Altersgruppe ( 100  m Freistil, in der Gruppe der Unter-Sechzehnjährigen).
    Die nette, wunderschöne Lucy King, die, obwohl gerade ihr letztes Schuljahr begonnen hatte und sie über fünfzehn Stunden pro Woche trainierte [3] , noch die Zeit fand, behinderten Kindern zweimal wöchentlich beim Schwimmenlernen im Leerbecken zu helfen.
    Lucy King. die mich einmal angelächelt hat. Tatsache
    Wenn das hier irgendwer zu lesen bekäme, weiß ich genau, was er sagen würde. Er würde sagen: »Oooh, Mike Swarbrick ist scharf auf Lucy King. Mike Swarbrick mit seinem albernen Wackelkopf, seinem Speckbauch und seinen spindeldürren Armen ist scharf auf das allerschönste Mädchen in Preston.« [4]
    Doch damit läge er hundertprozentig, vollständig und total falsch . Ich bin nicht scharf auf sie. Ich
bewundere
sie. Das ist ein großer Unterschied. Paul Beary, mein sogenannter Freund, ist scharf auf Mädchen. Er starrt sie durch ein Fernglas an, wenn sie Sportunterricht haben, und versucht im Schulflur an ihrem Haar zu riechen. Das ist
scharf
sein. Wenn man ein Mädchen
bewundert
, sagt man: »Oh, ich finde, dass Soundso sehr talentiert und nett ist. Ihr Aussehen ist mir erst gar nicht aufgefallen, aber jetzt, wo du es ansprichst, denke ich, dass sie tatsächlich ganz hübsch ist. Das spielt natürlich keine Rolle. Ich will alles über sie erfahren, dann können wir vielleicht irgendwann gute Freunde sein. Vielleicht könnten wir zusammen gegrilltes Hähnchen mit Salzkartoffeln essen und uns dabei
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ansehen, danach könnten wir über den Trainingsalltag sprechen, oder ich könnte ihr die Schwimmtasche tragen, ihre Schwimmflossen auf Hochglanz bringen oder so was. Aber ich würde nie, wirklich niemals, ihren Ruf oder unsere Freundschaft zerstören, indem ich mich aufführe wie ein Junge, der scharf auf sie ist. Auf gar keinen Fall. Ganz bestimmt nicht. Ich meine, warum sollte ich? Ehrlich.«
    Wo alles schiefzulaufen begann
    Inzwischen begreife ich, dass sich die Probleme wohl über Jahre entwickelt haben, ohne dass ich es merkte. Das ist wie bei einem Vulkan, wo der Druck eine Ewigkeit steigt, die Menschen aber erst merken, dass sie in Gefahr sind, wenn ein glühendheißer Lavaklumpen auf ihrer Katze landet. Manchmal bekomme ich Dinge nicht mit, die direkt vor meinen Augen passieren. Einmal habe ich mich zum Beispiel mit meiner Schulkrawatte in dem Ding im Spülbecken verfangen, das die Essensreste zerschreddert. Bevor ich überhaupt merkte, was los war, war sie schon bis zum Knoten völlig zerfetzt. Ich musste mich mit einem Kartoffelschäler losschneiden (das Einzige, an das ich auf die Schnelle herankam), sonst wäre ich zermanscht worden wie eine schimmlige Karotte.
    Jedenfalls war ich vor genau drei Wochen samstagmorgens beim Training. Als ich noch Vereinsmitglied war, ging ich am liebsten samstags zum Schwimmen. Nur da machte es mir Spaß. Das lag daran, dass meine Mum – warum, erfuhr ich leider erst später – samstags nicht zuschaute. Deshalb war es das einzige Training, an dem ich bereitwillig teilnahm.
    Ich mag es nicht, wenn man mir zuschaut.
    Da die meisten Leute am Wochenende etwas Besseres zu tun haben, belegte der Schwimmverein nur zwei Bahnen. Der Rest des Beckens stand der
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