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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt
Autoren: Marc Buhl
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Sozialdemokrat war der Feind, und als Soldat gehörte man nicht mehr sich selber, man gehörte dem Kaiser, seit der Vereidigung. Ihr habt an heiliger Stätte euerm Kaiser Treue geschworen bis zum letzten Atemzuge , dabei hatte er nicht geschworen, er hatte den Mund nur bewegt, der Schwur galt nicht, oder nur halb, aber das würde ihm nicht helfen, wenn es darauf ankam. Ihr seid noch zu jung, um das alles zu verstehen , doch er verstand alles, gerade weil er so jung war, immer versteht die Jugend alles, ihr Blick ist noch unbestechlich, deswegen die Furcht der Alten und der Stock für die, die sich wehren. Vertraut auf Gott, betet auch manchmal ein Vaterunser, das hat schon manchem Krieger wieder frischen Mut gemacht, und rammt dem Feind das Bajonett in den Leib mit Gottes Wort auf den Lippen, denn verflucht, es ist ein Franzos, ein armer Kerl, der auf einen anderen Kerl einen anderen Eid schwören musste, aber das sagte er nicht, der Kaiser, sondern Ihr habt das Vorrecht, meinen Rock tragen zu dürfen, vielen Dank auch dafür, zu viel der Ehre, und denket daran, dass die deutsche Armee gerüstet sein muss auch gegen den inneren Feind und es kann vorkommen, dass ihr eure eignen Verwandten und Brüder niederschießen müsst. Dann besiegelt die Treue mit Aufopferung eures Herzblutes.
    Vier feuchte Wände, kein Fenster, kein Licht, dreimal am Tag eine Scheibe Brot, abends dazu eine Suppe. Alles wegen einer Zeitung, so viel Angst hatte der Kaiser. Viel Zeit zum Denken. Ob sie das bezweckten mit dieser Haft? Das Denken wollten sie ihm doch abgewöhnen. Der Wärter hatte ein Holzbein, Tok tok tok, müde Schnapslider und pfiff ein paar Takte der Marseillaise, als er ihm am ersten Tag das Essen brachte, einmal nur, die anderen Tage hörte er nur das Toktok des Beines. Kein Wort kam aus seinem Mund, Teil der Züchtigung, kein Wort zu dem Gefangenen, und anschließend die Strafkompanie, keine Strafe, mehr eine Schule, denn hier waren andere wie er. Walter wegen der Schlägerei mit einem Unteroffizier. Alberz, der gegen Streikbrecher agitiert hatte. Wilhelm Pastor wollte einfach kein Gewehr halten.
    Alberz fand, dass nicht die Zukunft der sozialistischen Staaten entscheidend ist, sondern dass sich die Lage der Arbeiter jetzt verbessert und ein Aufstieg in die bürgerliche Gesellschaft möglich wird. Walter war für den Klassenkampf. Nicht die Welt interpretieren, sondern verändern, jetzt und in alle Ewigkeit. Engelhardt stimmte nur halbwegs zu. Wie konnte er die Welt verändern, wenn ihm das kaum bei sich selber gelang? Wilhelm Pastor konnte am besten von allen singen, Theorien waren ihm egal, nur durch Zufall sei er hier gelandet. Ein Zufall würde ihn wieder befreien. Außerdem sei nicht die Gesellschaft krank, sondern die Körper der Menschen, das sei doch wohl klar. Man müsse sich doch nur einmal vor ein Fabriktor stellen und die Menschen ansehen. Halbe Krüppel kämen da raus. Könnten nicht aufrecht stehen, nicht gescheit laufen, sähen aus wie halb tot. Die Not der Gegenwart lasse dem Arbeiter zu wenig Zeit, an sich selbst zu arbeiten. Nötig sei eine Körperkultur, die Selbsterkenntnis vermittele, Eigenkräfte wecke und geistiges Streben auslöse. Am Anfang sei der Körper, was sonst? Der Offizier spürte ihren Widerstand und quälte sie ohne viel Fantasie: Strafexerzieren. Nachtmärsche. Geländeübungen. Gewaltwanderungen mit vollem Gepäck. Sie waren jung und stark und wurden nur stärker dadurch und Freunde fürs Leben.
     
    Sie müssten kommen und das Glück der Tropen erleben, auch sie waren Lichtluftmenschen und Sonnenkinder, die nicht im winterlichen Deutschland bei sauren Früchten und Haselnüssen ihr Leben fristen sollten und die Torheiten ihrer Ahnen in alle Ewigkeit wiederholen. Er würde sie einladen, sobald er Papier und Stifte hatte, sein Gepäck sollte eigentlich schon hier sein, vielleicht hätte er den Hafenmeister bestechen müssen, er kannte nicht die Sitten hier in der Kolonie, doch bevor die Sachen gebracht wurden, würde er seine Wilden besuchen. Sie beobachteten ihn längst, das wusste er, er hatte ihre Spuren gesehen und ihr Lachen gehört, wenn er die Palme hinunterrutschte. Das Dorf war irgendwo auf der anderen Seite der Insel. Er ging barfuß durch den Wald, aber das war ein Fehler. Neben den Orchideen, Mimosen und mannshohen Baumfarnen wuchs zu viel dorniges Gestrüpp zwischen den Palmen, und Splitter von Kokosnussschalen lagen herum. Seine Füße waren noch zu verweichlicht.
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