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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt
Autoren: Marc Buhl
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schläft, ohne Sorge, als ob er ihre Spuren um seine Schlafstelle nicht bemerkt. Inzwischen haben alle Männer des Dorfes nachts bei ihm vorbeigeschaut, aber sein Glied hat sich nicht wieder aufgerichtet, obwohl sie versucht haben, es zu locken. Er ist wirklich kein Weißer, aber das liegt nicht am Fehlen der Kleider. Am seltsamsten ist, dass er kein Ziel hat. Die Weißen haben immer ein Ziel, und wenn es keines gibt, dann schaffen sie es, und können sie keines erschaffen, werden sie krank.
    Kabua kennt sie von der Missionsschule. Wenn die Menschen nicht arbeiten, gibt es auch keinen Gott, das wenigstens haben sie damals erzählt. Der Mann auf der Insel ist ein Mann ohne Gott. Manchmal dreht er sich zum Wald um, als ob er sie sieht, aber sie lachen darüber, denn er ist keine Gefahr. Nur wenn er anfängt zu singen, bekommen die Späher Angst, denn es klingt, als ob er sehr mächtige und ferne Geister ruft.
    Er schläft auf dem Sand, baut sich keine Hütte, versucht nicht, sie zu treffen, obwohl er weiß, dass es sie gibt. Die anderen Weißen haben sofort eine Versammlung im Dorf einberufen. Der hier lebt wie ein Einsiedlerkrebs. So nennt ihn Kabua bei sich: der Krebs. Dazu passte die Farbe der Haut. Jeden Tag wurde er röter. Keiner seiner Leute fordert mehr seinen Tod.

»Was versprechen sie sich von dem Aufenthalt auf dieser Insel?«, würde Pater Joseph als Erstes sagen. Nicht mit Gott beginnen. Nach allem, was er gehört hatte, kam man Engelhardt nicht mit Gott bei, doch es fiel ihm leicht, nicht von Gott zu reden, auch mit den Einheimischen sprach er nicht von Gott, jedenfalls nicht gleich, schon deshalb, weil Gott eine Vorstellung war, die für sie nicht existierte. Sie glaubten, die Menschen seien aus Schildkröteneiern geschlüpft und hätten ihre Geschlechtsorgane von Muscheln. In den Urzeiten waren die Frauen mit Hunden verheiratet, nicht mit Männern. Wer arm starb, wurde in der niedrigsten Klasse der Geister wiedergeboren und ernährte sich von Kot. Schlangen gebaren Menschenkinder, Hexen zauberten, Geister quälten, Dämonen erschreckten. Einen gütigen Gott hätten sie nicht verstanden, und ein Gott, der zürnt, war nicht Pater Josephs Gott.
    Das Paddel lag gut in der Hand. Er mochte die Bewegung und genoss den Widerstand des Wassers. Kabakon war die Nachbarinsel. Über das Postschiff hatte er schon Nachricht bekommen von dem seltsamen Bewohner. Der Gouverneur hatte ihn gebeten, vorbeizuschauen. Vielleicht sei er ja in der Lage, den Spinner zur Vernunft zu bringen, das hieß: zur Rückkehr. Ein Unglück werde das sonst geben.
    »Was versprechen Sie sich von dem Aufenthalt?«, würde er sagen und den anderen reden lassen. Mit dieser Methode hatte er auch bei seinen Bekehrungen am meisten Erfolg. Reden lassen und abwarten, bis der andere selber Zweifel äußerte, und auch dann nicht reagieren, auf keinen Fall die Zweifel ansprechen, sonst ziehen sich die meisten wieder auf sicheres Gelände zurück, auf keinen Fall argumentieren, nur zuhören, aufmerksam, aber nicht penetrant, nicht wie einer, der jemanden aushorchen will, nur interessiert und freundlich.
    Er rückte seinen Lederhut tiefer ins Gesicht und krempelte den Ärmel des Hemdes nach oben. Endlich wieder auf dem Wasser. Endlich frei, wenn auch nur für einen halben Tag. Manchmal konnte er die Lieder nicht mehr hören. Die vielstimmigen Kinderchöre, die den Herrn priesen, rührend zwar und notwendig, natürlich absolut notwendig, gerade hier, sie ließen die Kindlein zu sich kommen, denn nur die Kinder konnte man hier erreichen, bei den meisten Erwachsenen war jeder Versuch vergeblich, vollkommen versaut von ihrem Zauberglauben waren sie, die Zukunft des Christentums waren die Kinder, aber andauernd singen? Sogar beim Bügeln Gelobt sei Jesu Christ, denn auf der Station brachten sie den Mädchen jetzt Bügeln bei. Schwester Ludmilla wollte gestärkte Hauben. Sie war achtunddreißig, kam aus einem Dorf in der Nähe von Memmingen, hatte immer heftigere Anfälle von Schwarzwasserfieber, würde bald daran sterben und bestand, bis es so weit war, auf gestärkten Hauben. Er hatte für sie drei Dampfbügeleisen kommen lassen, dabei träumte er von einer Druckerpresse, um eine Zeitung herausgeben zu können, wenigstens ein kleines Mitteilungsblatt mit ein paar Anmerkungen von ihm und möglicherweise hin und wieder einem kleinen Gedicht.
    Er näherte sich Kabakon von Süden her, denn zu dieser Zeit war im Norden die Strömung zu stark. Die Mole lag
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