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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt
Autoren: Marc Buhl
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verlassen, und nirgends sah er ein Zelt. Pater Joseph zog das Boot an Land.
    Er war vor einigen Jahren das letzte Mal hier gewesen, zur Beerdigung des Pflanzers, der versucht hatte, die Insel mit dem Boot zu verlassen, allerdings hatte der Wind falsch gestanden, das Kanu kippte, und der Mann ertrank. In der Mission vermuteten sie einen Fluch, weil keiner der Weißen länger blieb, aber das vermuteten sie dauernd. Jeder Schnupfen hatte magische Ursachen, jeder Stich einer Biene; kein schlechter Traum, für den nicht irgendjemand verantwortlich war, dem man Böses getan hatte und der sich jetzt rächte. An einer der Palmen weiter hinten bewegte sich etwas. Er ging näher und sah einen nackten Mann, der den Stamm hinabkletterte. Pater Joseph schüttelte den Kopf. Ein Affenmensch. Es würde schwieriger werden, als er sich gedacht hatte.
    »Was versprechen Sie sich von dem Aufenthalt auf dieser Insel?«, fragte er, als sie später im Schatten der Bäume auf dem Strand saßen. Der andere hatte inzwischen ein Tuch um die Lenden geschlungen, nachdem er erfahren hatte, dass der Besucher ein Priester ist, trotz des speckigen Huts, der fadenscheinigen Hose und vor allem der Arme, die zu kräftig waren für einen Mann der Kirche. Engelhardt hatte ein anderes Bild von ihnen: entweder glänzende Haut unter schwarzer Soutane, die Nase rot vom Messwein oder aber grau, fahl und vergeistigt, doch Pater Joseph war Schmied gewesen, früher, in einem vergangenen Leben, auch wenn davon nicht viel geblieben war außer der Freude am Feuer und einer Kraft, für die er in seinem jetzigen Beruf nicht immer ausreichend Verwendung fand. Engelhardt zögerte mit seiner Antwort. Aus der Kirche war noch nie etwas Gutes gekommen, andererseits war die Bibel sein bester Zeuge: All eure Sorgen werfet auf ihn, denn er sorget für euch, hatte selbst Petras gesagt. Fünfzehn Jahre lang hatte er keinen Sonntagsgottesdienst verpasst, keinen verpassen dürfen, um es genau zu sagen, im Matrosenanzug auf der harten Bank, während die Beine in kurzen Hosen noch lang nicht auf den Boden reichten. Er ließ sie baumeln und bekam zu Hause Schläge dafür, das tat man nicht und GOTT SIEHT ALLES, er kannte seine Bibel. Er sorget für die Menschen, das sagte er dem Pfaffen und dass es ihm darum gehe, um den Verzicht auf Sorgen. Man müsse sich selbst ändern, und weil das Außenleben eines Lebens immer nur die Projektion eines Innenzustandes in die Außenwelt sei, müsse man anschließend auch das äußere Paradies aufsuchen.
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Pater Joseph. Fast schon zu viel. Aha hätte gereicht, oder ein leichtes Nicken des Kopfes. »Der unruhige, der nervöse, der leidenschaftliche Kulturmensch würde im Paradies ganz unglücklich sein, wie ein Pferd, das sein Leben lang im Bergwerksstollen gearbeitet hat und plötzlich ans Tageslicht geführt wird. Wer aber Ruhe und Frieden in sich trägt, der sehnt sich hinaus aus dem lärmenden Kulturleben, er sehnt sich nach dem Frieden auch in der Welt, in der er lebt. Hier ist diese Welt des Friedens.«
    Nicht widersprechen, sagte sich Pater Joseph, auch wenn es schwerfällt, nicht argumentieren, nur zuhören, Welt des Friedens, ausgerechnet hier, die Schmiedehände ineinander verschrauben, nichts sagen von Malaria, die einem alle Kraft raubt und allen Willen, der finsteren Magie der Wilden, Kannibalismus, Giftschlangen, Krokodilen, Erdbeben, nichts von den Parasiten in der Haut und den Mägen der Waisenkinder, der letzten Pockenepidemie, Influenza, der Ruhr, nur aufpassen, was der andere sagt, wenn er über Sorgen spricht, die man einfach von sich werfen könne, von sich werfen müsse, denn Sorgen seien die gewöhnlichste Art des Selbstmordes. Sie seien die wirkliche Ursache von Tausenden Todesfällen, auch wenn auf dem Totenschein etwas anderes stehe. Hier in den Tropen aber befreie man sich von den Sorgen um die Nahrung, weil alles so üppig wachse, den Sorgen um die Kleidung, weil man nackt gehen könne, den Sorgen um die Wohnung, weil man hier keiner bedürfe. »Sie wollen nur faulenzen?«, fragte Pater Joseph. Ganz schlecht. Das war ihm noch nie passiert. Nie provozieren. »Im Gegenteil. Der Bedürfnislose ist gleichzeitig der Schaffendste. Weil er anspruchslos ist gegen sich selber, stehen seine Zeit, seine Kraft, sein Herz den Mitmenschen zur Verfügung. Ich will lesen und schreiben, meine Bücher sind noch in Herbertshöhe, aber ich hoffe, dass das Schiff bald kommt und sie bringt. Mit Rousseau fange
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