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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt
Autoren: Marc Buhl
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ich an: Alles, was aus den Händen des Schöpfers kommt, ist gut; alles entartet unter den Händen des Menschen. Und später selber etwas verfassen, was dem gleichkommt.«
    »Der Naturzustand bei Rousseau ist doch nur eine Idee.« Nicht gut. Schon das zweite Mal widersprochen, aber Engelhardt ärgerte ihn, auf eine Art, die Pater Joseph Freude machte. Endlich einer, dem zu widersprechen lohnte. Der meinte es ernst. Und er las Bücher. In der Kolonie war beides selten, ernst wurde nur der Kaiser genommen und gelesen nur die Verordnungen und die Briefe aus der Heimat. Engelhardt las, auch wenn es dieser französische Sozialist war, der den Menschen für gut hielt und die Erbsünde ignorierte, aber das durfte er jetzt nicht sagen, nichts von Gott, wenigstens an diesen Vorsatz wollte er sich halten. »Das ist eine Idee, und unter der nordischen Sonne bleibt der Naturzustand eine Idee. Aber hier wird daraus eine Realität.«
    »Warum sollte Ihnen gelingen, was den Eingeborenen selbst nicht gelingt? Zu leben in Frieden und Eintracht und Güte?«
    »Es gelingt ihnen nicht, weil ihr sie nicht lasst, sondern quält mit Religion und Moral, mit Arbeit und Steuern, mit den Segnungen einer Zivilisation, die selber verdammt ist zu sterben. Warum sind Sie hier, Pater? Was versprechen Sie sich von dem Aufenthalt in den Kolonien?« Engelhardt sah ihn aufmerksam an, nicht penetrant, nicht wie einer, der jemanden aushorchen will, nur interessiert und freundlich. Pater Joseph sagte nichts, denn wenn er jetzt antwortete, könnte er von den Waisen reden, der Krankenstation, der Schule, davon, dass sie die Macht der Zauberer brechen würden und damit die Angst der Menschen verringerten, von der Schlichtung der Streitigkeiten zwischen Stämmen, vom Ende der Menschenfresserei, von all dem könnte er reden, aber das wog geringer als seine Zweifel, denn was hatten die Weißen den Wilden schon wirklich gebracht? Auf den Außenposten der Handelsstationen vegetierten Kerle mit tertiärer Syphilis, die die ganze Insel verseuchten. Die Weißen lebten größtenteils von Bier, Wein, Sekt, Whisky und Portwein, prügelten Jungen, spielten Poker, nahmen sich schwarze Weiber, machten abends einen großen Radau mit Schreien, Fluchen und Zanken und ersäuften am nächsten Morgen den Kater in Schnaps, daher blieb er stumm, nickte nur kurz und lud Engelhardt ein, ihn zu besuchen. Die Eingeborenen auf dieser Insel hätten Boote, die ihm immer zur Verfügung stünden, denn er sei jetzt ihr Herr, ob er wolle oder nicht, aber Engelhardt bekannte, noch keinen Kontakt aufgenommen zu haben. Pater Joseph paddelte mit einem merkwürdigen Gefühl zurück zu den Bügelbrettern, den Liedern der Grundschüler, den gestärkten Hauben und der kleinen Kirche, deren Gottesdienste die Eingeborenen nur im Tausch gegen Tabak besuchten.

Engelhardt sah dem Boot nach, bis es hinter der Ostseite der Insel verschwunden war. Ein Schwarm Tauben kam übers Meer geflogen, kurzes Flügelrauschen, leises Gurren. Ihr blauer Schatten flimmerte über den Strand. Kurz war ihm, als flöge er mit ihnen. Warum sollte das nicht möglich sein, wo hier doch die Gravitationskraft am geringsten war und der Mensch am leichtesten und ganz frei. Die Wellen plätscherten verlockend. Das Glück des Äquators, der Heimat der Erkennenden, der Hellsehenden, der mit Gott Versöhnten, umgeben von Immergrün, Immerblau, Immersonnengold.
    Das Gift der Städte wurde in der Sonnenheimat ausgeschwitzt und verdampft, das Religionsgift, Kulturgift, Medizingift, Militärgift, eine verfluchte Zeit. Sein Offizier beim 14. Infanterieregiment hatte ihn und den Rest der Kompanie bei Regen immer geweckt, um sie durch den Schlamm kriechen zu lassen, verdammte Studenten, die keine Ahnung hatten, was eine Schlacht bedeutete, Dreck sollt ihr fressen, je mehr, desto besser.
    Sedan!, schrie der Offizier, während sie krochen und troffen, kalter Schlamm in der Hose, im Mund und den Augen. Erster September 1870! Die Heldentaten des vierten Bayerischen Jägerbataillons! Die Eisenbahnbrücke gesprengt im dichten Feuer der Franzosen! Eine Hand verloren durch ein Bajonett und die Hälfte seiner Kameraden, die alle es wert gewesen wären zu leben, im Gegensatz zu ihnen, die eine Schande wären für die Nation und den Kaiser und wenn es jemals gegen den Feind ginge, dann wäre Deutschland verloren mit einer Horde Waschlappen wie sie! Vierzehn Tage Dunkelhaft hatte er bekommen, weil er den Vorwärts gelesen hatte, das war verboten, der
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