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Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt
Autoren: Marc Buhl
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Jahrzehntelang hatte er sie in Schuhe gesperrt, anstatt sie zu kräftigen auf dem nackten Boden, aber er drehte nicht um, um seine Sandalen zu holen. Am besten, er verbrannte sie, um nicht in Versuchung zu geraten, sie jemals wieder anzuziehen. Das Nordufer der Insel. Breiter der Strand, höher die Wellen, der Blick ging auf die gegenüberliegende Insel, höchstens zwei Kilometer entfernt. Weiß leuchteten die Dächer der Missionsstation, hellgrün die Felder ringsum, der Kirchturm mit rotem Dach, sodass man hier die Glocken hören würde, wenn der Wind richtig stand. Engelhardt war sich nicht sicher, ob er das gerne täte.
    Kein Eingeborener war zu sehen, kein Dorf, als er zur Westspitze seiner Insel lief. Ibisse pflügten ihre Schnäbel durchs Wasser und fraßen Krebse. Engelhardt kehrte um und ging Richtung Osten. Braunalgen stanken in der Sonne. Zuerst hörte er einen kleinen Schrei, dann sah er zwei Frauen flüchten. Sie waren barfuß, trugen Ketten um den Hals aus weißen Steinen oder Zähnen und einen Bastrock um die Hüften. Die Körbe mit den Yamswurzeln hatten sie auf dem Strand liegen lassen. Einer war umgekippt und die Knollen in den Sand gerollt. Er ging ihnen nach, vorbei an kleinen Feldern mit Zuckerrohr, Papayas, Bananen, Taro und Süßkartoffeln, bis er in einer kleinen Lichtung die Giebeldachhütten sah, geflochtene Wände, die Dächer mit Palmwedeln gedeckt, ringsherum ein fester Lattenzaun. Den sollte es hier gar nicht geben. Alles sollte allen gehören, und noch keiner hätte auf den Gedanken kommen sollen, ein Stück Land einzuzäunen und zu sagen: »Das ist meins.«
    Ein Schwein kam auf ihn zugerannt, drehte aber ab und verschwand quiekend im Busch. Er ekelte sich davor, aufzutreten, denn der Boden war rot von Betelsaft. Engelhardt blieb stehen Der Greis, der auf einem Baumstamm vor seiner Hütte saß und mit blinden Augen in seine Richtung starrte, spuckte einen roten Strahl vor sich auf den Boden. Er war dünn wie ein Kind, ein Arm zerfressen von tropischem Wundbrand. Es stank nach dem verbrannten Fleisch der Beutelratte, die vor ihm über der Glut des Feuers hing. Zwei andere Wilde, etwas jünger, rauchten schmale Pfeifen, sahen ihn an, stumm und bewegungslos. Beide hatten den Penis mit einer dünnen Schnur nach links oben gebunden. Der eine trug außerdem einen Armreif, ansonsten waren sie nackt. Ein Gelbhaubenkakadu saß angebunden auf einem Brett. Das Seil war zu kurz und schnitt ihm in den Hals. Immer wieder zog er daran. Rotbraunes Blut klumpte in den Halsfedern. Eine Mutter, Kind an der Brust, kam aus einer der Hütten, sah Engelhardt und verschwand rückwärts wieder, nachdem sie sich bekreuzigt hatte, er hatte sich nicht getäuscht, sie hatte wirklich ein Kreuz geschlagen, allerdings mit der rechten Hand nicht die Stirn berührt in nomine Patris, sondern ihre Lippen und anschließend die rechte et Filii und linke et Spiritus sancti Brustwarze, eine Variante, die die Kirche sicher nicht gutheißen würde, trotzdem: Allein dass auf seiner Insel die Wilden wussten, dass man ein Kreuz schlägt, und gefangen waren in blindem Aberglauben, war bitter genug, denn hier sollten sie frei sein davon, nur die Kräfte der Natur anbeten und die allgegenwärtige Sonne und leben in Glück und in Unschuld.
    Jetzt tauchte ein Alter mit meterlangem Speer auf, das rechte Bein grotesk angeschwollen, zeigte mit der Bambusspitze auf Engelhardt, murmelte etwas Unfreundliches, verschwand wieder humpelnd.
    Er hatte sich das Treffen mit den Wilden anders vorgestellt: Sie hätten sich alle auf dem Dorfplatz versammelt. Ein junger Mann wäre gekommen, hätte demütig den Kopf gesenkt und ihm einen Korb mit Früchten angeboten, einen grünen Zweig als Zeichen des Friedens und eine geöffnete Kokosnuss, dann wäre der bikman aufgetreten und hätte ihn auf Englisch begrüßt, welcome master, und er hätte geantwortet not master, just brother. Englisch wäre hier passender gewesen als Deutsch, er wusste selber nicht genau, warum, vielleicht um eine gewisse Fremdheit zu wahren oder weil Bruder nicht das rechte Wort gewesen wäre, um einen Schwarzen anzusprechen, Bruder war ein kostbares Wort, das durfte man nicht vorschnell ausgeben. Anschließend hätte der Häuptling ihm die Kopraernte gezeigt und sie hätten besprochen, wie die Arbeiter entlohnt werden sollten. Gemeinsam hätten sie den Bund ihrer Freundschaft besiegelt, indem sie aus dergleichen Kokosnuss getrunken hätten oder die gleiche Pfeife geraucht, so
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