Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies des August Engelhardt

Das Paradies des August Engelhardt

Titel: Das Paradies des August Engelhardt
Autoren: Marc Buhl
Vom Netzwerk:
Herbertshöhe. Schwarzgrau lagen die Vulkane der Halbinsel; in dem Palmenwald die Dächer der Plantagen und die Türme der Kathedrale der Katholischen Mission, dreißig Meter hoch und leuchtend weiß. Über der Fensterrosette segnete eine goldene Maria das Land und das Meer, das um das Boot hemm plötzlich aufkochte, siedete, Blasen warf und explodierte, bis ein paar Tausend Fische sich mannshoch aus dem Wasser erhoben und durch die Luft segelten, die Flossen ausgebreitet wie Flügel, hundert Meter weit oder noch mehr. Zwei klatschten an Deck, die anderen tauchten wieder ein, schossen ein zweites Mal in die Luft. »Fliegende Heringe«, meinte der Kapitän, »auf der Flucht vor Goldmakrelen«, schlaue Tiere, fand Engelhardt, aber ein Möwenschwarm hatte die Fische geortet und pflückte sie aus der Luft, wo sie nicht ausweichen konnten, nur geradeaus flogen sie, steuerungslos in die Mäuler der Möwen hinein, die sie erwarteten, und ein paar Augenblicke später war das Meer wieder still, nur ein paar Möwen kreischten fern um ein paar Fetzen. Die goldene Maria segnete das Land und das Meer, während Engelhardt die beiden gestrandeten Fische ins Wasser warf.
     
    Herbertshöhe.
    Hauptstadt der Kolonie, vierhundert Deutsche lebten hier, aber am Pier kauerten fast nur Chinesen, Malaien, Melanesien Ein einziger Europäer wartete auf die Pinasse, als Engelhardt ausstieg, ein Missionar im schwarzen Rock. Aus den Kapokbäumen am Hafen kam ein wütendes Krächzen wie auf einem frisch geernteten Maisfeld im Oktober in Deutschland. Er schloss kurz die Augen und war im deutschen Herbst, ein fürchterliches Gefühl, der Winter drohte, die Tage wurden kürzer, am Ende lauerten Kälte und Tod. Panisch riss er die Lider auf. Alles war fremd, licht und gut. Die Krähen habe man eingeführt zur Schädlingsbekämpfung, den Palmkäfer sollten sie fressen, der die Pflanzungen ruiniert, erklärte der Kapitän, während er die Ladung der Kohle überwachte, fraßen sie aber nicht, sondern die Küken der einheimischen Vögel, doch die Schießjungen legten nicht auf sie an. Was ein Schießjunge sei.
    Er sei ja wohl wirklich ganz neu hier. Das seien einheimische Jungs, die einem das Essen schießen, die Lizenz dafür gebe es beim Bezirksamtmann und sei laut Reichskolonialamt in Berlin stets bei sich zu tragen, was eine hübsche Idee wäre, aber kaum durchführbar, wenn der Junge nur einen Lendenschurz trage und in der einen Hand das Gewehr halte und in der anderen die Patronen, immer nur ein paar, wegen der Gefahr eines weiteren Aufstandes. Weil die Krähen zu zäh waren, durften die Jungs nur Tauben abknallen. Schade nur, dass man die Fliegenden Hunde nicht vom Baum schießen könne, da wäre mehr Fleisch dran, aber die krallten sich fest, blieben tot, hoch und unerreichbar hängen und fielen erst als verweste Kadaver hinab, und ja, er fahre regelmäßig die Runde, etwa jede Woche und er könne ihn wieder mitnehmen auf seine Insel.
    Auf dem Weg zum Gouverneur überholte ihn eine Kutsche, darin Damen mit breitkrempigen Strohhüten, der dazugehörige Herr sehr aufrecht, eine geflochtene Reitpeitsche über den Beinen. Von ihnen drehte sich keiner nach ihm um, aber er spürte ihre Blicke aus den Augenwinkeln. Vor den Häusern schmiedeeiserne Gitter. Man hörte das Ploppen eines Tennisballs, den verhaltenen Applaus. Einstand.
    Der Sitz des Gouverneurs lag auf dem Hügel. Vunabakut nannten es die Tolai, Wolkenplatz. Im Garten nahmen zwei jüngere Damen gerade ihren Tee und musterten Engelhardt halb neugierig, halb entsetzt. Wenn die Weißen auch hier so rumliefen, wäre das bald das Ende ihrer Autorität. Das sagte ihm auch Gouverneur Hahl, weiße Hose, weißes Jackett, weiße Schuhe, weiße Residenz und darin seine eingeborene Frau, die er erst taufen ließ, bevor er sie heiratete, obwohl sie angeblich schon getauft war von Missionaren der Steyler Mission, aber denen war nicht recht zu trauen, die gaben andauernd an mit ihren Bekehrungsgeschichten, aber dann verschwanden die Getauften wieder im Busch, erschlugen sich gegenseitig und fraßen sich auf. Seine Frau hatte nie einen Menschen gefressen, hoffte Hahl zumindest, und inzwischen buk sie ihm sonntags einen Apfelstrudel nach dem Rezept seiner Großmutter, dass die anderen Beamten ihn beneideten.
    Hahl schüttelte den Kopf: Dieses sonnenverbrannte Gesicht, die schulterlangen Haare, eingehüllt in ein Wollkleid, ein Spinner, nicht unsympathisch zwar, aber doch fremd, wie er hier am Tisch saß und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher