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Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11
Autoren: Émile Zola
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Leseraum … Ich will ein wenig ausruhen.«
    Im Lesesaal mußten die Damen stehenbleiben; alle Stühle rings um den großen, mit Zeitungen bedeckten Tisch waren besetzt. Da lasen dicke Herren in aller Gemütsruhe ihr Lieblingsblatt und dachten nicht daran, ihre Plätze galanterweise abzutreten. Einige Damen schrieben, die Nase dicht über das Papier gebeugt, als wollten sie geheime Herzensergüsse mit ihren breitrandigen Hüten verdecken. Frau von Boves war übrigens nicht da, und Henrierte wurde schon ungeduldig, als sie plötzlich Vallagnosc bemerkte, der seine Schwiegermutter und seine Frau ebenfalls suchte. Er grüßte und meinte:
    »Sie sind gewiß in der Spitzenabteilung; sie können sich von dort nicht losreißen. Ich will mal nachsehen.«
    Bevor er ging, war er so galant, den Damen Stühle zu verschaffen.
    In der Spitzenabteilung wuchs das Gedränge von Minute zu Minute. Nachdem Frau Von Boves mit ihrer Tochter tatsächlich hier herumgeirrt war in dem sinnlichen Verlangen, ihre Hände in diese zarten Gewebe zu versenken, war sie zu dem Entschluß gekommen, sich von Deloche Alençonspitzen vorlegen zu lassen. Zuerst hatte er ihr Imitationen gezeigt, allein sie wollte echte sehen und begnügte sich auch nicht mit kleinen Garnituren zu dreihundert Franken, sondern verlangte Volants, Tücher und Fächer zu sieben- bis achthundert, ja tausend Franken. Bald war der Tisch mit einem Vermögen an Spitzen bedeckt. Etwas abseits stand regungslos der alte Jouve und ließ kein Auge von Frau von Boves. Der Verkäufer, den sie nun schon zwanzig Minuten aufhielt, wagte keinen Widerstand zu leisten, so sehr imponierte sie ihm durch ihre Vornehmheit, ihre Gestalt und ihre gebieterische Stimme. Allmählich aber begann er doch zu zögern, denn man hatte den Angestellten strenge Weisung erteilt, die kostbaren Spitzen auf dem Tisch nicht so aufzuhäufen.
    Überdies war ihm in der vorigen Woche das Unglück passiert, daß er sich zehn Meter Mechelner Spitzen hatte stehlen lassen. Allein Frau von Boves brachte ihn in Verwirrung, sein bißchen Festigkeit wankte, und er verließ den Haufen Alençoner Spitzen, um sich umzuwenden und die verlangten neuen Muster herunterzuholen.
    »Schau nur, Mama«, sagte Blanche, die daneben in einem Karton mit wohlfeilen Valenciennesspitzen herumkramte, »mit diesen kleinen Stücken könnten wir Polster besetzen.«
    Frau von Boves antwortete nicht. Als sich die Tochter umwandte, sah sie, wie ihre Mutter, immer unter den Spitzen herumsuchend, ein Stück im Ärmel ihres Mantels verschwinden ließ. Blanche schien nicht sonderlich überrascht zu sein, ja sie trat näher, um die Manipulation ihrer Mutter zu verbergen. Da tauchte plötzlich Jouve zwischen den beiden Damen auf. Er neigte sich zum Ohr der Gräfin und flüsterte in höflichem Ton:
    »Gnädige Frau, folgen Sie mir bitte.«
    »Warum denn?« fragte Frau von Boves unwillig.
    »Folgen Sie mir, gnädige Frau!« wiederholte Jouve im selben ruhigen Ton.
    Angstvoll und verstört blickte sie rasch um sich. Dann ergab sie sich, gewann ihre hochfahrende Haltung wieder und ging neben ihm her wie eine Königin, die sich der Obhut eines Flügeladjutanten anzuvertrauen geruht. Niemand hatte die kleine Szene beobachtet. Deloche, der mit den Mustern zurückkehrte, sah hocherstaunt, wie Frau von Boves weggeführt wurde. Wie? Die auch? Diese vornehme Dame? Blanche, um die sich niemand kümmerte, stand blaß und zitternd unter der Menge und blickte ihrer Mutter nach, schwankend zwischen dem Gefühl, sie dürfte sie eigentlich nicht verlassen, und der Furcht, samt ihr dabehalten zu werden. Sie sah ihre Mutter in das Arbeitszimmer Bourdoncles eintreten und begnügte sich damit, vor der Tür zu warten.
    Bourdoncle war gerade anwesend. Bei solchen Diebstählen pflegte er selbst das Urteil zu sprechen. Seit langer Zeit war Jouve der Gräfin auf der Spur; er hatte Bourdoncle seinen Verdacht schon mitgeteilt. Dieser war denn auch nicht sonderlich überrascht, als ihm der Inspektor von dem Vorfall Meldung machte. Es kamen ihm so außerordentliche Fälle unter die Hand, daß er Frauen für zu allem fähig hielt, wenn sie einmal die Begierde gepackt hatte. Da ihm Mourets gesellschaftliche Beziehungen zu der Diebin bekannt waren, behandelte er sie mit vollendeter Höflichkeit.
    »Gnädige Frau, wir entschuldigen derartige Augenblicke der Schwäche … Allein bedenken Sie, wohin solche Selbstvergessenheit Sie führen kann! Wenn jemand bemerkt hätte, wie Sie die Spitzen in
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