Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Paradies der Damen - 11

Das Paradies der Damen - 11

Titel: Das Paradies der Damen - 11
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Schrecken aufs höchste zu steigern, erschien mit einemmal Vallagnosc, dieser Mann, der erst seit einem Monat ihr Gatte war und dessen Du sie noch in Verlegenheit brachte. Erstaunt über ihre Verstörtheit, fragte er sie:
    »Wo ist deine Mutter? … So sag doch! Du regst mich auf …« Es wollte ihr keine halbwegs glaubwürdige Lüge einfallen. In ihrer Beklemmung dämpfte sie die Stimme und stotterte:
    »Mama … Mama … sie hat gestohlen.«
    »Wie, gestohlen?«
    Endlich begriff er. Entsetzt starrte er in das aufgedunsene Gesicht seiner Frau, die blaß und völlig außer sich war.
    »Spitzen hat sie genommen, in den Ärmel ihres Mantels geschoben«, stammelte die Unglückliche weiter.
    »Und du hast zugesehen?« murmelte er.
    Es überlief ihn kalt bei dem Gedanken, daß sie vielleicht die Mitschuldige ihrer Mutter war. Schon wandten einzelne Leute die Köpfe nach ihnen um. Was tun? Eben hatte er sich dafür entschieden, zu Bourdoncle hineinzugehen, als er Mouret erblickte, wie er durch die Galerie schritt. Er befahl seiner Frau, ihn hier zu erwarten, nahm den Arm seines alten Freundes und erzählte ihm in einigen hastig hervorgestoßenen Worten, was vorgefallen war. Mouret führte ihn rasch in sein Arbeitszimmer, wo er ihn über die möglichen Folgen beruhigte. Er versicherte, daß seine Vermittlung unnötig sei, und erklärte ihm, wie die Sache ungefähr ablaufen werde. Er selbst schien übrigens über diesen Diebstahl nicht sonderlich überrascht zu sein, als hätte er ihn seit langer Zeit vorausgesehen. Allein Vallagnosc wollte, als eine sofortige Verhaftung nicht mehr zu befürchten war, das Abenteuer nicht mit der gleichen Ruhe hinnehmen. Er lehnte sich im Sessel zurück und erging sich in Klagen über sein eigenes Schicksal. Da sei er also in eine Diebesfamilie geraten! rief er. Dabei sei er auf diese dumme Heirat nur dem Vater zuliebe eingegangen. Er brach in Tränen aus, sehr zum Erstaunen Mourets, der sich seines früheren teilnahmslosen Pessimismus erinnerte. Hatte er ihn nicht zwanzigmal sagen hören, daß das Leben gar nichts tauge und höchstens das Schlechte noch einigen Spaß verspreche? Um den anderen zu zerstreuen, machte nun er sich das Vergnügen, ihm in freundschaftlich scherzhaftem Ton Gleichgültigkeit zu predigen. Vallagnosc aber wurde böse; er konnte sein gestörtes Gleichgewicht nicht wiederfinden, seine ganze spießbürgerliche Erziehung lehnte sich empört gegen seine Schwiegermutter auf. Bei der geringsten Berührung mit menschlicher Schwäche lag dieser Spötter verzagend am Boden. Es sei abscheulich, meinte er, man ziehe die Ehre seines Geschlechtes in den Schmutz! Die Welt schien ihm aus den Fugen geraten zu sein.
    »So beruhige dich doch«, ermahnte ihn Mouret, von Mitleid ergriffen. »Ich rate dir, hinunterzugehen und Frau von Boves deinen Arm anzubieten, das ist besser, als einen Skandal zu machen.«
    Da erhob sich Vallagnosc und befolgte den Rat seines ehemaligen Mitschülers. Sie betraten in dem Augenblick die Galerie, als Frau von Boves das Zimmer Bourdoncles verließ. Sie nahm majestätisch den Arm ihres Schwiegersohnes, und als Mouret sie mit äußerster Höflichkeit grüßte, hörte er sie flüstern:
    »Sie haben sich tausendmal entschuldigt; wahrhaftig: es geschehen hier schreckliche Mißgriffe.«
    Blanche hatte sie eingeholt und ging stillschweigend hinter ihnen her. Sie verloren sich allmählich im Gewühl der Kauflustigen.
    Allein und nachdenklich schritt Mouret von neuem durch das Geschäft. Auf der Höhe der Mitteltreppe blieb er stehen und betrachtete lange den ungeheuren Bau, in dem sein Frauenvolk sich drängte.
    Es schlug sechs Uhr. Draußen ging der Tag zur Neige, und das Licht wich allmählich aus den noch immer übervollen Gängen. Man zündete eine nach der anderen die elektrischen Lampen an, deren strahlende Milchglaskugeln in ihrer endlosen Zahl erst die ganze Ausdehnung der Geschäftsräume ahnen ließen. Als alle brannten, stieg ein Gemurmel des Entzückens empor; die große Weißwarenausstellung nahm in dieser neuen Beleuchtung einen feenhaften Glanz an. Es war, als verwandelte sich diese Fülle von Weiß ebenfalls in eine schimmernde Lichtquelle.
    Mouret stand oben auf der Haupttreppe und betrachtete seine weibliche Kundschaft in dieser flammenden Helle. Die Käuferinnen brachen allmählich auf, die Fächer zeigten große Lücken, das Gold klang hell auf den Kassentischen. Ausgeplündert, überwältigt, mit zerknitterter Kleidung gingen sie davon, mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher