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Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence

Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence

Titel: Das nicht ganz perfekte Leben der Mrs. Lawrence
Autoren: Catherine Robertson
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Rippen bekommen als das Jüngelchen, das an ihre Haustür gelehnt stand. Benedict war etwa einen Meter fünfundachtzig groß und so mager und zartgliedrig wie ein Windhund. Er hatte sehr lange Beine, was die enge, schwarze Jeans, die er ständig anhatte, noch betonte. Dazu trug er entweder einen Blazer wie die Musiker der Punkband Buzzcocks oder eine Motorradjacke wie Joey Ramone. Beide Jacken waren eine Idee zu eng, aber statt ihn deshalb wie einen Hänfling wirken zu lassen, verliehen sie ihm etwas nervtötend Elegantes. Passend dazu war er bleich wie ein Punker und hatte seine weißblonden Haare so kurz geschnitten, dass sie von Weitem aussahen wie rasiert. Nach Aishes Ansicht verhinderten nur sein großzügig geschnittener Mund und seine lebhaften grün-braunen Augen, dass er aussah wie ein anämischer Stelzvogel.
    Aishe fand Benedicts Stil total aufgesetzt; für sie war es der traurige Verschleierungsversuch, dass er ein ehemaliger Internatsschüler war, was per definitionem hieß, dass er weder cool noch wirklich gewieft sein konnte. Aishe erinnerte sich nicht mehr an den Namen des englischen Internats in Benedicts Lebenslauf, doch hatte er sich von dort einen präzis-knappen Akzent und eine amüsierte Selbstsicherheit erhalten, die Aishe unfehlbar in Rage brachte. Sie selbst hatte die Schule als Sechzehnjährige verlassen, mit anständigen Noten zwar, aber ohne richtigen Abschluss. Dass sie nicht dumm war, wusste sie– schließlich hatte sie Gulliver bis zu Beginn dieses Schuljahrs erfolgreich zu Hause unterrichtet.
    Aishe dachte lieber nicht an die Auseinandersetzungen und Spannungen zwischen Gulliver und ihr, die die gesamten Sommerferien angedauert hatten. Zum ersten Mal hatten sie sich ernsthaft gestritten, zum ersten Mal hatte er ihre Autorität angezweifelt und ihr Urteil in Frage gestellt. Und das nur, weil er nicht mehr zu Hause unterrichtet werden, sondern auf eine ›echte‹ Schule gehen wollte, wie ein normales Kind…
    Deshalb war Benedict hier. Er war Aishes Kompromiss. Auf eine ›echte‹ Schule konnte Gulliver nächstes Jahr gehen. Die ›normalen‹ Kinder in seinem Alter würden dann mit der Highschool beginnen, daher war der Zeitpunkt besser. Dann waren alle, auch die ›Normalen‹, Neue. Bis dahin war weiterhin Hausunterricht angesagt. Aishe würde ihn in Geschichte und Spanisch unterrichten, Benedict in den Fächern, mit denen Aishe Probleme hatte: Mathe, Naturwissenschaften, Englisch und Musik.
    Benedict, der ärgerlicherweise jedes einzelne von Menschen erfundene Instrument zu spielen schien, hatte Gulliver außerdem einen Platz in einer der hiesigen Musikschulen besorgt, wo die Schüler nach Alter und Spielfertigkeit zusammengestellt wurden und gemeinsam probten und sogar auftraten wie eine richtige Band. Gulliver spielte Bassgitarre, was ihm laut Benedict seinen Platz in der Schule gesichert hatte, weil nur noch die Zither unbeliebter war als der Bass.
    » Nenn mir vier große Rockbands«, hatte Benedict nur gesagt, als Aishe die Instrumentenwahl ihres Sohnes verteidigen wollte.
    » Led Zeppelin, The Who, The Rolling Stones, U2«, hatte sie sofort geantwortet.
    » Ausgezeichnet«, hatte Benedict gesagt. » Jetzt nenn mir den Bassisten in jeder Band.«
    » Bill Wyman!«, hatte sie– irgendwann später– ausgerufen.
    » Sehr gut«, hatte er erwidert. » Du hast nur zwei Tage dafür gebraucht.«
    Nein, Aishe wusste, dass sie nicht dumm war. Aber in Gegenwart des lilienweißen Hardy-Boys kam sie sich manchmal so vor, selbst wenn es nur um so etwas Banales wie Rockmusik ging. Aishe hasste es, sich anderen unterlegen zu fühlen. Sie kam sich dann verletzlich vor, und das war unerträglich.
    Ihre übliche Waffe dagegen war ihre Lieblingstaktik– eine derart unverblümte und brutale Offenheit, dass einem die Haare zu Berge stehen konnten. Damit hatte sich Aishe im Laufe der Jahre nicht viele Freunde gemacht. Doch da sie nur die Gesellschaft zweier Menschen– die ihres Sohnes und ihre eigene– genoss, kam ihr das gerade recht. Sie hatte Benedict nur in ihr Leben gelassen, weil es unumgänglich war– er war der einzige Bewerber gewesen, den sie sich leisten konnte. Und wo er nun mal da war, musste sie sich damit abfinden, das wusste sie. Die Alternative wäre gewesen, Gulliver nachzugeben und ihn auf eine reguläre Schule zu schicken. Aber dazu war Aishe nicht bereit. Noch nicht.
    Doch, bei Gott, dieser Stelzvogel ging ihr gewaltig auf die Nerven! Aishe hatte keine Geduld für
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