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Das neue Philosophenportal

Das neue Philosophenportal

Titel: Das neue Philosophenportal
Autoren: R Zimmer
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spätantiker Philosophenschulen.
    Dies ist aber nur der erste Schritt. Ab dem 3.   Kapitel greift die Philosophie zu dem, was sie die »schärferen Heilmittel« nennt. Nun geht es nicht mehr nur darum, die Schmerzen
     zu lindern. Die Behandlung richtet sich nicht mehr auf die Symptome, sondern auf die Wurzel der Krankheit. Der Mensch soll
     sich über das wahre Glück klar werden und die Richtung seines Lebens ändern.
    Für Boethius wie für die gesamte Antike waren das Gute und das Wahre aufs Engste miteinander verbunden. Die uns heute geläufige
     Trennung zwischen Fragen der theoretischen Philosophie und Fragen der praktischen Philosophie gab es für ihn nicht. Deshalb
     kann er das Glück nur erlangen, wenn er die Gesetze des Kosmos durchschaut und zu deren letzten Prinzipien vorstößt. Entsprechend
     werden in den Kapiteln 3 bis 5 nicht nur Themen der Ethik, des vernunftgeleiteten, richtigen Lebens, sondern auch komplexe
     Themen der Metaphysik angesprochen. Erst dann, so die Botschaft des Buches, wenn der Mensch die letzten Prinzipien der Wirklichkeit
     erkannt hat, ist er auch in der Lage, sein Leben in eine Übereinstimmung mit der Weltordnung zu bringen.
    Mit der zunehmenden Abstraktheit seiner Themen folgt Boethius einer wichtigen Lehre der platonischen und insbesondere neuplatonischen
     Philosophie: dass nämlich der Erkenntnisweg des Menschen sich in Stufen vollzieht, von den unmittelbaren Wahrnehmungen der
     Welt bis zu dem höchsten göttlichen Prinzip, von dem alles seinen Ausgang nimmt. Wie Sokrates und Platon, so glaubt auch Boethius, dass das Wissen über die höchsten Dinge schon im Menschen schlummert und durch die Kunst der philosophischen Argumentation
     geweckt werden kann. Für dieses Bewusstwerden des Wissens benutzt er ein Bild, das Platon in seinem Hauptwerk
Der Staat
in seinem berühmten Höhlengleichnis verwendet hatte. Der Mensch müsse, so Boethius im 4.   Buch, seine »an Finsternis gewöhnten Augen zum Lichte einleuchtender Wahrheit erheben«. Die Erlangung philosophischer Erkenntnis
     gleicht dem Austritt aus dem Schattenreich ins Licht der Sonne.
    Obwohl die Tradition der platonischen Philosophie die Argumente des Boethius am stärksten beeinflusst hat, bleibt er doch,
     wie viele römische Philosophen, ein Eklektiker, d.   h. jemand, der die Einflüsse verschiedener philosophischer Schulen miteinander vermischt. Dazu gehören neben denen der aristotelischen
     Philosophie auch solche der Lebensphilosophie der Stoiker und Epikureer, selbst wenn Boethius im 1.   Buch abfällig vom »stoischen und epikureischen Pöbel« spricht. Spuren der spätantiken Philosophenschulen finden sich besonders
     in den ersten beiden Kapiteln, in denen die »Philosophie« ihn auffordert, sich von weltlichem Glück und Erfolg nicht beeindrucken
     zu lassen. Fortuna, die Macht, die unser Leben beeinflusst und die im Lateinischen sowohl Glück als auch Schicksal bedeuten
     kann, ist wankelmütig, die Vernunft hingegen konstant.
    Die »Philosophie« erinnert den klagenden Boethius entsprechend daran, dass er, aufgrund seiner langjährigen philosophischen
     Studien, eigentlich alle Mittel an der Hand hätte, um seine Lebenssituation zu meistern. Ein Blick auf Philosophenschicksale
     wie das des Sokrates, der von den Athenern zum Tode verurteilt wurde, und das von Seneca, der von Nero zum Selbstmord gezwungen
     wurde, hätte ihm den wahren Charakter der Fortuna vor Augen führen können. Schon in
Trost der Philosophie
finden wir den uns heute noch bekannten Vergleich der Fortuna mit einem Rad, das sich dreht und den Menschen nach oben heben,
     aber auch nach unten stürzen kann. Über das Schicksal und damit über das weltliche Glück hat der Mensch keine Macht: Ein gutes
     Schicksal ist kein Verdienst und ein schlechtes keine Schuld.
    Mit der Überzeugung, dass jeder Mensch nach Glück strebt, greift
Trost der Philosophie
auf die Ethik des Aristoteles zurück. Auch für diesen war das wahre Glück an die Vernunftnatur des Menschen gebunden. Wer
     es erreichen will, muss sich also über seine wahre Natur im Klaren sein. In der mangelnden Erkenntnis der eigenen Natur, in
     der mangelnden Selbsterkenntnis also, liegt auch nach Meinung der philosophischen Lehrerin der Grund für den beklagenswerten
     Zustand ihres Schützlings. Entfremdung von der eigenen Natur, also die Abkehr von der Vernunftbestimmtheit, führt zum Streben
     nach falschen Werten und Gütern. Die Therapie liegt entsprechend in der
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