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Das neue Philosophenportal

Das neue Philosophenportal

Titel: Das neue Philosophenportal
Autoren: R Zimmer
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pflichtgemäßen und tugendhaften Handelns liegen in der menschlichen Natur. Marc Aurel spricht an
     mehreren Stellen von der Dreiteilung dieser Natur in Körper, Seele, Geist oder auch in Fleisch, Lebenshauch – dem griechischen
     »pneuma«– und Vernunft. Gemeint ist jeweils das Gleiche. Es wird eine Abstufung angenommen, die von körperlichen Bedürfnissen
     über seelische Regungen bis zum rationalen Vermögen führt. Eine solche Dreiteilung hat in der griechischen Philosophie eine
     lange Tradition und findet sich schon mehrere hundert Jahre vorher bei Platon. Das rationale Vermögen, die Vernunft also,
     gilt dabei als das Leitungsvermögen, das die anderen menschlichen Regungen führen und kontrollieren soll. Die Vernunft ist
     es auch, die den Menschen mit der kosmischen Weltvernunft verbindet.
    Für den einzelnen Menschen geht es nun darum, seine individuelle Vernunft mit der kosmischen Vernunft in Einklang zu bringen,
     sich – in der Sprache der modernen Computerkommunikation – in die Weltvernunft »einzuloggen«. Dies geschieht dadurch, dass
     derMensch eine bestimmte Einstellung gegenüber der Welt entwickelt: Nicht die Dinge und Ereignisse selbst kann ich verändern,
     wohl aber das Licht, in dem ich sie betrachte. Das Glück liegt für Marc Aurel allein in dieser Einstellung und nicht im Erwerb
     äußerer Güter.
    Die
Selbstbetrachtungen
versuchen, den Weg zu dieser richtigen Einstellung und damit den Zugang zur Weltvernunft in den verschiedensten Lebens- und
     Alltagssituationen aufzuzeigen. Abschnitt II, 9 des Buches fasst in einem Satz den Anspruch zusammen, vor den sich der Mensch
     gestellt sieht: »Daran ist immer zu denken, welches die Natur des Alls ist und welches die meine und wie sich diese zu jener
     verhält und was für ein Teil sie ist und von was für einem Ganzen und dass es niemanden gibt, der dich hindern kann, was der
     Natur, deren Teil du bist, gemäß ist, immer zu tun und zu sagen.« Der Mensch soll sich als integrierter Bestandteil einer
     allumfassenden Natur sehen lernen und danach sowohl sein Handeln als auch seine Urteile über Dinge und Ereignisse ausrichten.
    Gefordert wird dabei eine dreifache Perspektive: 1. der richtige Blick auf die Dinge, indem ich sie in einem »natürlichen«
     Licht, d.   h. als Teil des unveränderbaren Ablaufs von Ursachen und Wirkungen sehe; 2. das richtige Verhalten gegenüber anderen Menschen;
     und 3. die Befreiung meiner Urteile von falschen Annahmen und Wertungen. Jede dieser angestrebten Perspektiven dient dazu,
     den Menschen von »pathologischen« Affekten zu befreien und ihn zum Glück zu führen. Im 12.   Buch der
Selbstbetrachtungen
wird diese dreifache Aufgabe des Menschen noch einmal zusammengefasst: »Das Heil unseres Lebens: jedes Ding durch und durch
     betrachten, was es an sich ist, was sein Stoffliches, was sein Ursächliches. Von ganzem Herzen das Gerechte tun und die Wahrheit
     sagen.« Realistische Weltbetrachtung, Gerechtigkeit und Wahrheit sind die drei Ziele, die in den Meditationen der
Selbstbetrachtungen
immer wieder umkreist werden.
    Diese dreifache Perspektive, die Marc Aurel von Epiktet übernommen hat, entspricht auch der stoischen Einteilung der Philosophie
     in Physik, Ethik und Logik. Die Physik hat mit unserer Natur- und Weltsicht zu tun und entspricht unserer heutigen Naturphilosophieund Metaphysik. Die Ethik befasst sich mit dem zwischenmenschlichen Handeln. Unter Logik wiederum verstanden die Stoiker nicht
     nur das, was wir heute als »formale Logik« kennen, sondern auch die Erkenntnistheorie und vor allem alles, was mit sprachlichen
     Äußerungen über die Welt zu tun hat, also auch Rhetorik und die Kunst des Argumentierens. Will der Mensch seine individuelle
     Vernunft mit der Weltvernunft in Einklang bringen, so muss er das physikalische, ethische und logische Anliegen miteinander
     verknüpfen.
    Schon der Beginn des zweiten Buches gibt ein Beispiel dafür, wie dies im Alltag geschehen kann. Der Autor stellt sich vor,
     an diesem Tage mit einem »unverschämten, arglistigen, neidischen, unverträglichen Menschen« zusammenzutreffen. Diesem Menschen
     aus dem Weg zu gehen oder mit ihm einen Konflikt auszutragen – das ist nicht die Art des Stoikers. Marc Aurel setzt vielmehr
     voraus, dass dieser Mensch durch Geist und göttlichen Anteil mit ihm verwandt ist. Wie die östlichen Meditationslehren glaubt
     er, dass alle Menschen nicht nur miteinander verbunden, sondern durch den Vernunftbezug im
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