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Das Nazaret-Projekt

Das Nazaret-Projekt

Titel: Das Nazaret-Projekt
Autoren: Heinrich Hanf
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Schande für Italien, für die Kirche und die ganze Christenheit. Oh, es trifft sich sehr gut, dass Sie sich als anständiger Christenmensch zum Handeln aufgerufen fühlen, genau dazu wollte ich Sie ohnehin ermuntern, mein Freund. Wir haben uns lange nicht gesehen und wir müssen uns unbedingt vertraulich miteinander unterhalten. Wie bitte, Sie sind schon unterwegs? Gott segne Sie, werter Dottore, sie sind ein loyaler Freund! Ich werde mich persönlich um die Verschiebung Ihres Termins beim obersten Gerichtshof in Rom morgen früh kümmern. Machen Sie sich keine Sorgen, der Präsident ist ebenfalls ein guter Freund! Buon viaggio, Dottore! Und rufen Sie mich an, sobald Sie in Rom angekommen sind!«

Telly Suntide
    Ein begnadetes schauspielerisches Talent, ein Paar Tausend-Dollar-Schuhe, ein Hundertfünfzig-Dollar-Haarschnitt, die beliebte Palisade überirdisch weißer Hollywood-Zähne und das notorisch positive Dauergrinsen eines Haifisches, routinierte Selbstdarstellung und sonnengebräuntes, kalifornisches Charisma ohne Ende – all das und noch etwas mehr benötigt ein erfolgreicher Fernsehprediger in Amerika.
    All das und noch viel mehr besaß Telly ›The Truth‹ Suntide im Überfluss. Unter anderem auch die Komplettausstattung des amerikanischen Traums: Den Ferrari in Rot und das Haus in Beverley Hills, wohlgefüllte Konten in der Schweiz und auf den Cayman Islands, eine Villa nebst Fünfundzwanzig-Meter-Yacht in Nizza, bis hin zu einem zweistrahligen Lear-Jet auf dem Flughafen von Los Angeles. Alles möglich gemacht durch das verlässliche Spendenaufkommen seiner zahlreichen Schäfchen, den Mitgliedern der Gemeinde seiner ›Church of Truth‹.
    Telly Suntide war der beliebteste christliche Prediger in ganz Amerika und er betrieb deshalb sogar seinen eigenen Fernsehsender in Kalifornien. Eigentlich hätte er zufrieden sein müssen mit sich und dem Erreichten.
    Vielleicht deshalb befand sich ›The Truth‹ seit Monaten in einer ständigen Sinnes-Krise. Seit beinahe fünfzehn Jahren verkündete er nun das Wort Gottes – wenn auch in durchaus subjektiver Auslegung – an seine stetig wachsende Gemeinde, aber noch nie in dieser ganzen Zeit hatte es Gott offenbar für notwendig erachtet, auch nur ein einziges Mal das Wort an ihn persönlich zu richten. Telly fand das wirklich nicht in Ordnung.
    War er denn nicht ein Auserwählter, der Tausenden von Menschen Trost und Hoffnung schenkte – Telly Suntide, die Lichtgestalt, die Sonntag für Sonntag die Wahrheit in die Häuser und Herzen der Menschen trug? Bekehrte er nicht scharenweise die Ungläubigen und führte die Irrenden in den Schoß der Kirche zurück? Und zum Dank dafür wollte ihm noch nicht einmal der Papst in Rom eine kurze Audienz gewähren! Warum nur mochte ihm Gott trotz aller Gebete kein Zeichen senden?
    Seinen persönlichen Wohlstand konnte Telly nicht als göttliches Geschenk begreifen, Geld war in seiner Familie immer schon reichlich vorhanden und wachsender Reichtum war eher ein selbstverständliches Nebenprodukt denn ein Ziel seiner Träume, Wünsche und Aktivitäten gewesen. Auch das Aphrodisiakum der Reichen, die weltliche Macht, besaß für ihn nur geringe Anziehungskraft, sehr zum Leidwesen seiner politisch hochintriganten Familie.
    Telly hatte ein Ideal. In seinen Träumen war er ein spiritueller Weltenführer, dem es gegeben ist, die Menschheit aus ihrem Jammertal zu befreien und sie für immer an das Licht zu führen. Dieser Traum war zu einer Besessenheit geworden, die wiederum eine pathologische Form seiner Psyche zur Folge hatte, die jeder echte Weisheitslehrer mit einem einzigen Blick als mustergültig spiritualisiertes Ego erkennen konnte, in gewissen Traditionen auch ›Seele-aus-Scheiße‹ genannt. Von wirklicher Selbsterkenntnis war Suntide ungefähr so weit entfernt wie die Sonne von der Erde und darin lag – für ihn hoffnungslos verborgen – der wahre Kern seines Problems.
    In trübe Gedanken versunken kniete Telly mit gefalteten Händen in seiner Privatkapelle und haderte mit Gott und der Welt, als sich das Handy in seiner Brusttasche durch Vibrationsalarm bemerkbar machte.
    An Stelle der vertrauten Stimme seiner Sekretärin drang die eines unbekannten Mannes an sein Ohr. Der unerwünschte Anrufer sprach mit tiefer Stimme und schwer bestimmbarem Akzent: »Hochwürden Suntide?«
    Dann schwieg der Fremde und in diesem Schweigen erahnte Telly Bedeutsamkeit. Normalerweise hätte er sich ohne zu zögern selbst verleugnet.
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