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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum
Autoren: Stephen King
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darüberschaufeln? Macht mal halblang, Leute, wie wir in den ruhmreichen Tagen unserer Jugend zu sagen pflegten.
    Die Vibration. Das war der Ruf menschlicher Gebeine gewesen.
    Komm schon, Bobbi – sei nicht so verdammt dämlich.
    Dennoch überlief sie ein Schauder. Die Vorstellung hatte eine gewisse unheimliche Überzeugungskraft, wie eine viktorianische Geistergeschichte, die eigentlich keinerlei Wirkung haben durfte, während die Welt auf dem Weg des Mikrochips den unbekannten Wundern und Schrecken des 21. Jahrhunderts entgegeneilte –, die aber dennoch irgendwie Gänsehaut erzeugte. Sie konnte hören, wie Anne lachte und sagte: Du wirst so komisch im Kopf wie Onkel Frank, Bobbi, und du verdienst es nicht anders, wenn du da draußen allein lebst, nur mit deinem stinkenden Hund. Klar. Hüttenkoller. Der Eremitenkomplex. Ruft den Arzt, ruft die Schwester, Bobbi geht’s schlecht … und immer schlechter.
    Dennoch wollte sie plötzlich mit Jim Gardener reden – musste mit ihm reden. Sie ging hinein, um in seinem Haus oben in Unity anzurufen. Sie hatte vier Nummern gewählt, als ihr einfiel, dass er zu Lesungen unterwegs war – damit und mit den Dichter-Workshops hielt er sich über Wasser. Für reisende Künstler war der Sommer die beste Zeit. All diese Matronen in den Wechseljahren müssen doch etwas mit ihren Sommern anfangen, hörte sie Jim ironisch sagen, und ich muss im Winter essen. Eine Hand wäscht die andere. Jedenfalls solltest du Gott danken, dass dir wenigstens die Lesekreise erspart bleiben, Bobbi.
    Ja, die blieben ihr erspart – aber sie vermutete, dass sie Jim besser gefielen, als er zugeben wollte. Sicher ließ er sich bei den Gelegenheiten häufig genug flachlegen.

    Anderson legte den Hörer wieder auf die Gabel und betrachtete das Bücherregal neben dem Ofen. Es war kein besonders schönes Regal – sie war kein Tischler und würde auch nie einer sein –, aber es erfüllte seinen Zweck. Die beiden unteren Reihen waren vollgestopft mit den Time-Life -Büchern über den alten Westen. Auf den beiden Borden darüber drängte sich eine Mischung von Literatur und Sachbüchern zum selben Thema; Brian Garfields frühe Western kämpften mit Hubert Hamptons dickleibigem Western Territories Examined um Platz, Louis L’Amours Sackett-Saga stand Wange an Wange mit Richard Marius’ wunderbaren Romanen The Coming of Rain und Bound for the Promised Land. Jay R. Nashs Bloodletters and Badmen und Richard F. K. Mudgets Westward Expansion bedrängten eine Reihe Western-Taschenbücher von Ray Hogan, Archie Joceylen, Max Brand, Ernest Haycox und natürlich Zane Grey – Andersons Exemplar von Riders of the Purple Sage war beinahe in Fetzen gelesen.
    Auf dem obersten Bord standen ihre eigenen Bücher, insgesamt elf. Zehn waren Western, angefangen mit Hangtown, das 1975 erschienen war, zuletzt The Long Ride Back, 1986 erschienen. Massacre Canyon, das neueste, würde im September veröffentlicht werden, wie alle ihre Western von Anfang an. Jetzt fiel ihr ein, dass sie hier in Haven gewesen war, als sie ihr erstes Exemplar von Hangtown erhalten hatte, obwohl sie ihn in einer schäbigen Wohnung in Cleaves Mills auf einer gebrauchten Underwood aus den Dreißigerjahren begonnen hatte, die an Altersschwäche starb. Doch hier hatte sie ihn beendet, und hier hatte sie das erste fertige Exemplar des Buches in Händen gehalten.
    Hier, in Haven. Ihre gesamte Karriere als Schriftstellerin hatte sich hier abgespielt, vom ersten Buch abgesehen.
    Dieses erste Buch nahm sie jetzt herunter und betrachtete
es; ihr wurde bewusst, dass es wahrscheinlich fünf Jahre her war, dass sie dieses schmale Bändchen zuletzt in der Hand gehabt hatte. Es war nicht nur deprimierend zu erkennen, wie schnell die Zeit verstrich; es war deprimierend, daran zu denken, wie oft sie in letzter Zeit darüber nachdachte.
    Dieses Buch stand in völligem Kontrast zu den anderen, deren Schutzumschläge Mesas und Restberge, Reiter und Kühe und staubige Rindertrail-Städte zeigten. Dieser Umschlag zeigte einen Klipper aus dem 19. Jahrhundert, der sich dem Ufer näherte. Die kompromisslosen Schwarz – und Weißtöne waren verblüffend, beinahe schockierend. Der Titel, Boxing the Compass, war über dem Holzschnitt gedruckt, und darunter: Gedichte von Roberta Anderson.
    Sie öffnete das Buch, blätterte an der Titelseite vorbei, verweilte einen Augenblick auf dem Copyright-Vermerk 1974, dann betrachtete sie die Widmung. Sie war so unübersehbar wie der
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