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Das Molekular-Café

Das Molekular-Café

Titel: Das Molekular-Café
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Sprache der Wissenschaft heißt er
Rechenautomat, Computer, Datenverarbeitungsanlage. Der Laie bezeichnet
ihn als Elektronenhirn, und in der schöngeistigen Literatur tritt
er als Roboter auf, als Android, Homunkulus, Biomat. Im Grunde meinen
alle Bezeichnungen dasselbe: eine Maschine, die denken und lernen kann,
eine Maschine also, die Funktionen des menschlichen Gehirns
übernimmt.
    An energieerzeugende Maschinen hat sich der
zivilisierte Mensch gewöhnt. Seiner Abhängigkeit von ihnen
wird er sich erst bewußt, wenn seine Zündkerze streikt oder
der Strom abgeschaltet wird. Auch Maschinen, die die Geschicklichkeit
seiner Hände übertreffen, sind für ihn so
selbstverständlich geworden, daß er nicht mehr über die
Feinheit des Gewirks von Damenstrümpfen oder die
Verläßlichkeit eines Kameraverschlusses nachgrübelt.
Die Denkmaschine dagegen ist neu und für manch einen verwirrend,
ja beunruhigend. Sie verträgt sich nicht mit der Vorstellung, das
menschliche Gehirn stehe am Ende einer Milliarden Jahre zählenden
biologischen Entwicklung, es bilde die absolute Höchstleistung der
belebten Natur unseres Planeten, ein nicht nachahmbares, geschweige
denn zu übertreffendes Stück Evolution, einmalig in jedem
Exemplar. Und das soll mit technischen Mitteln reproduziert werden? Das
hieße ja, den Menschen mit seinem Ebenbild zu konfrontieren, ihn
sich selbst gegenübertreten zu lassen!
    Dieser Überlegung liegt ein Denkfehler
zugrunde. Zwar gilt die biologische Entwicklung des Menschen im
wesentlichen als abgeschlossen, keineswegs jedoch die
gesellschaftliche. Der Mensch, der als soziales Wesen begriffen werden
muß, verdankt allein dem zielgerichteten, auf größte
Effektivität abgestimmten Zusammenwirken mit seinesgleichen
Sprache, Technik, Erkenntnisfähigkeit und Bewußtsein. Und
erst der Übergang zur klassenlosen Gesellschaft verschaffte ihm
nach jahrtausendelanger Geschichte endlich die Herrschaft über die
Gesetze seiner gesellschaftlichen Bewegung. Damit tritt er, wie
Friedrich Engels es nennt, aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich
der Freiheit ein.
    Dieser Übergang fällt mit zunehmenden
Umwälzungen in Wissenschaft und Technik zusammen. Die
Spezialisierung wird stärker, das Geflecht von Industrie,
Landwirtschaft, Handel und Finanzwesen verästelt und
verschränkt sich weitgehend. Unmengen an Informationen müssen
ausgewertet und verarbeitet werden, wenn das in ständiger
Ausdehnung und Verdichtung begriffene gesellschaftliche Gesamtsystem
stabil erhalten bleiben soll. Der gesellschaftliche
Wachstumsprozeß hat, sowohl in nationalem als auch in
internationalem Rahmen, an Umfang, Tempo und Intensität derart
zugenommen, daß die Kapazität des Menschenhirns nicht mehr
ausreicht, um ihn zu überblicken und zu steuern. Mit historischer
Notwendigkeit schafft sich der Mensch ein neues Instrument: die
Denkmaschine.
    Es zeigt sich aber eine eigenartige Erscheinung.
Die neue Erfindung, ein Kind der wissenschaftlich-technischen
Revolution, weckt sowohl Hoffnung als auch Furcht. Hoffnung dort, wo
die Maschine als ein an sich gesellschaftlich neutrales Werkzeug mit
einer menschheitserhaltenden Zielfunktion versehen wird; Furcht dort,
wo die Technik begrifflich zu einem Dämon umgemünzt wird, um
von den sozialökonomischen Wurzeln des gesellschaftlichen Verfalls
abzulenken.
    In der Furcht vor dem Roboter – als einem dem
Menschen nach Gedächtnisumfang, Reaktionsgeschwindigkeit und
Kombinationsgabe weit überlegenen Geschöpf, das sich eines
Tages von der Vormundschaft seines Schöpfers befreit, das den
Menschen aus seiner herrschenden Stellung verdrängt, um ihn sich
zu unterwerfen oder ihn abseits verkümmern zu lassen –, in
diesem Alptraum also spiegelt sich die maßlose
Selbstüberschätzung wider, die wir bei allen zum Untergang
verurteilten Herrscherschichten in der Stunde ihrer Agonie beobachten:
Wenn wir zugrunde gehen, geht die Welt unter.
    Dieser Angstschrei ist uralt, neu ist nur seine aus
den Attributen modernster Technik und sozialen Halbwahrheiten
gefertigte Verpackung.
    Natürlich wirft jede neue Erscheinung auch
neue Probleme auf; ob sie erkannt und gelöst werden, hängt
vom Charakter der Gesellschaft ab. Das System des Sozialismus erklimmt
mit der wissenschaftlich-technischen Modellierung von Denkfunktionen
eine höhere Stufe der Herrschaft sowohl über die Natur als
auch über die eigenen Bewegungs- und Entwicklungsgesetze. Das
kapitalistische System dagegen vermag mit seinen
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