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Das Molekular-Café

Das Molekular-Café

Titel: Das Molekular-Café
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so
perfektioniert.
    Warschawskis Erzählung läßt den
Charakter der Gesellschaft, die eine Kybella als gleichberechtigt
anerkennt, offen. Sie beschränkt sich auf Andeutungen, welches
Leid die entfesselte Maschine verursachen könnte. Im Grunde
genommen ist das die Verurteilung aller bürgerlichen
Spekulationen, die den kommenden Automaten Bewußtsein verleihen
und sie dem Menschen als sozial und geistig gleichwertige
Persönlichkeit an die Seite stellen wollen.
    Das, was soeben als unvorstellbar bezeichnet worden
ist, als von vornherein unmöglich, gerade das aber geschieht in
Boris Gurfinkels Erzählung »Mitleid«. Der
Elektronenrichter thront, unumschränkt und unfehlbar, über
den Menschen. Er, das Maschinenwesen, hat sich in einsamer
Größe über das Gezänk der Menschenwelt erhoben, in
seiner Hand – richtiger: in seinen Schaltkreisen – liegt
die Entscheidung über Recht und Unrecht. Er kann loben und
strafen, er ist die oberste Instanz, gegen ihn gibt es keine Berufung.
Sogar der befehlsgewohnte Konzernvertreter muß sich der
Rechtsauffassung des Elektronenrichters beugen. Eine echte Utopie also,
eine Überschreitung nicht nur der Realität, sondern sogar der
Möglichkeit, aber von unschwer ablesbarem Symbolgehalt.
    Die dem utopischen Denken innewohnende Frage
»Was wäre, wenn…?« ruft vor allem dort
produktive Überlegungen hervor, wo sie, spielerisch die Grenze des
Möglichen überschreitend und dann unvermutet in die
Realität reflektiert, auf gewohnte Vorstellungen einwirkt.
Amanoiwato, der als Richter eingesetzte Neuroid, ist ein technisches
Produkt der Ausbeuterordnung. Seine Speicherwerke haben die
Rechtsvorschriften aufgenommen, die den Bestand der auf kapitalistische
Monopolherrschaft gegründeten Eigentumsverhältnisse sichern
sollen. Außerdem hat er sich durch Auswertung der Entscheidungen
maßgeblicher Gerichte auch die Handhabung der Gesetze, also das
Rechtsempfinden der Besitzenden, zu eigen gemacht. Kein Zweifel also,
daß der Elektronenrichter in diesem zivilrechtlichen Streit
zwischen Vertretern zweier Kapitalgruppen völlig objektiv
entscheiden wird.
    Sein Urteil indessen geht von ganz anderen
Kategorien aus. Er setzt sich über das Geschäftsinteresse
hinweg, er mißachtet den Warenwert. Wer hat ihn gelehrt, das
spielende Kind höher zu achten als das versicherte Transportgut?
Der Neuroid respektiert den ihm eingegebenen Grundsatz, daß der
Mensch das Maß aller Dinge sei, weil er von objektiven
Wertbegriffen ausgeht. Ein menschlicher Richter, dem Wortlaut des
Gesetzes nach in seinen Entscheidungen angeblich frei und
unabhängig, hätte den offiziellen Grundsatz zu einer frommen
Lüge gemacht. Er hätte sich dem Einfluß des Managers
gefügt, hätte eine klassenabhängige Haltung eingenommen
und sein Urteil den Interessen der ökonomisch stärksten
Prozeßpartei angepaßt.
    Der Humanismus, das sagt die Erzählung
»Mitleid« mit der Symbolkraft der literarischen Utopie,
entspricht der Logik. Die Ausbeuterordnung verstößt sowohl
gegen das humanistische als auch gegen das logische Prinzip. Damit ist
sie gerichtet, moralisch und historisch. In der utopischen Literatur
bildet die Überschreitung des Möglichen ein wirkungsvolles
Kompositionselement, wenn sie im Dienst einer fortschrittlichen Aussage
steht.
    Viele Werke der ausländischen utopischen
Literatur übernehmen eine Funktion, die in der Deutschen
Demokratischen Republik mit Vorliebe vom Kriminalroman ausgeübt
wird: Entlarvung und Kritik des Kapitalismus. Hierher gehören
Stanislaw Lems Erzählung »Existieren Sie, Mister
Jones?« und Ilja Warschawskis »Der Moloch«. Beide
Erzählungen haben satirische Färbung. Die Tatsache, daß
in der kapitalistischen Sphäre alle Dinge käuflich sind,
illustriert Lern mit beißendem Spott. Wenn alle Dinge
Warencharakter haben, müssen sie untereinander austauschbar sein.
Dieses Prinzip, mit dem Kunstgriff einer strengen Scheinlogik auf den
Menschen angewandt, offenbart den Widerspruch zwischen technischem
Fortschritt und sozialer Rückständigkeit, ein Widerspruch,
der hier komisch anmutende Hilflosigkeit auslöst. Er verdeutlicht
Menschenfeindlichkeit und gesellschaftliche Perspektivlosigkeit des
kapitalistischen Systems. Die Beklemmung des Lesers löst sich in
Gelächter über die bornierte Rückständigkeit der
spätbürgerlichen Gesellschaft auf.
    Warschawskis Erzählung »Der
Moloch« ist weniger aggressiv. Sie bezieht ihren Witz aus der
unerwarteten Wendung, sie macht die
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